Einfach raus aus der Verantwortung
Brexit-Minister Dominic Raab tritt zurück, während Premierministerin Theresa May für ihren Deal wirbt Domino-Effekt: Eine weitere Ministerin und zwei Staatssekretäre verließen gestern die Regierung
Die Bombe zündete am Vormittag. Gerade einmal anderthalb Stunden bevor Premierministerin Theresa May eine Erklärung zum Brexit-Deal im Unterhaus abgeben wollte, ging ihr der Brexit-Minister von der Fahne. Dominic Raab erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dass er von seinem Posten zurückgetreten sei: "Ich kann nicht mit gutem Gewissen", schrieb er, "die vorgeschlagenen Bedingungen für unseren Deal mit der EU unterstützen." Noch am Abend zuvor hatte er dem Kabinett angehört, das nach fünfstündigem Ringen gemeinsam die Annahme des Entwurfs für den Austrittsvertrag angenommen hatte.
Der Rücktritt kommt nicht nur zu einem schlechten Zeitpunkt für May. Er untergräbt auch deswegen ihre Position, weil hier nicht ein untergeordneter Minister seinen Hut nimmt, sondern ausgerechnet der Mann, der für die Vertragsverhandlungen zuständig war und die Details des Brexit-Deals am besten kennen sollte. Wenn der Brexit-Minister geht, muss die Premierministerin fürchten, werden andere Brexit-Hardliner im Kabinett folgen.
Gleich mehrere Rücktritte
Und Dominics Domino-Effekt trat umgehend ein: Die Arbeitsministerin Esther McVey verkündete eine Stunde nach Raab ihren Rücktritt. Und der Staatssekretär im Nordirland-Ministerium Shailesh Vara sowie die Staatssekretärin im Brexit-Ministerium, Suella Braverman, nahmen ebenfalls aus Protest gegen den Brexit-Deal ihren Abschied.
Raab gab in seinem Rücktrittsschreiben an, dass er die sogenannte Backstop-Regelung für Nordirland nicht akzeptieren könne. Sie sieht vor, dass das gesamte Königreich, falls keine andere Lösung gefunden wird, in der Zollunion verbleibt, um eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland zu verhindern.
Doch seine Kritiker werfen ihm ganz andere Beweggründe vor. Der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna sagte: "All diese Leute wie Raab oder der ehemalige Brexit-Minister David Davis oder der ehemalige Außenminister Boris Johnson sind zurückgetreten, weil sie erkennen, dass die Versprechen, die sie während des Referendums gemacht haben, nicht eingehalten werden können. Jetzt sehen sie die Realität eines Brexit-Deals und stehlen sich aus der Verantwortung."
Innerhalb der Regierungsfraktion wird jetzt spekuliert, dass Raab seinen Rücktritt eingereicht habe, um seine Chancen für eine Nachfolge Mays zu wahren.
Und dieser Nachfolgestreit könnte bald beginnen. Um die Parteivorsitzende herauszufordern, braucht es 48 Briefe von Abgeordneten der Konservativen, die May das Vertrauen entziehen. Im Unterhaus machten gestern Gerüchte die Runde, wonach Graham Brady, der Vorsitzende des zuständigen "1922 Committee", bald genügend Schreiben zusammenhat. Ein Fenstersturz ginge allerdings erst dann über die Bühne, wenn May in einer Misstrauensabstimmung innerhalb der Fraktion unterliegt. Bisher ging man davon aus, dass ihre Gegner nicht die dafür nötigen 159 Stimmen beisammen haben.
Vertragsentwurf erklärt
Premierministerin May ist meistens dann am besten, wenn der Druck am größten wird. In ihrer Erklärung im Unterhaus zuckte sie gestern nur einmal zusammen, nachdem sie gesagt hatte, dass ihr Deal zu einem "glatten und geordneten" Austritt führen werde. Schallendes Gelächter von den Oppositionsbänken ertönte, denn "glatt und geordnet" läuft es für sie im Moment gewiss nicht.
Danach fing sie sich. Sie erklärte, was der Vertragsentwurf regelt: die Garantie der Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und umgekehrt, den Umfang der britischen Zahlungsverpflichtungen ("weit niedriger als die Zahlen, die am Prozessanfang genannt wurden"), die Einigung auf eine Übergangsphase bis Ende 2020. Man habe, was den Backstop für Nordirland betrifft, das maximal Mögliche ausgehandelt.