Maifeiern in Wien und banges Warten in Linz

Von Markus Staudinger   02.Mai 2015

Seit zwölf Jahren hatte Wien keine rote Maifeier mehr gesehen: Am 1. Mai 1945 fanden erstmals wieder Maikundgebungen statt.

Für den Sternmarsch hin zum Rathausplatz, den die Wiener SPÖ in der Zwischenkriegszeit als Hochamt zelebriert hatte, reichte die Organisation noch nicht: Es waren dezentrale Feiern in den Bezirken, bei denen die Sozialdemokraten den Tag der Arbeit begingen – gemeinsam mit Kommunisten und Anhängern der Volkspartei.

Was für ein Unterschied zur Ersten Republik; da hatte nämlich der christlich-soziale Kanzler Engelbert Dollfuß 1933 alle sozialistischen Aufmärsche am 1. Mai verboten. Auf dem Ring war das Heer postiert.

Die Wiener Sozialdemokraten trotzten dem. Sie gingen "spazieren" – zum Beispiel ins Praterstadion, 70.000 an der Zahl.

Maibaum mit Hakenkreuzen

Im Mai 1934 – drei Monate nach dem Bürgerkrieg – ging das nicht mehr: Die Sozialdemokratie war zur Gänze verboten, Dollfuß rief den austrofaschistischen Ständestaat aus. Ab nun galt der 1. Mai als "Gedenktag an die Verfassung 1934". Gefeiert wurde dieser nur drei Mal: Im März 1938 marschierten die Nationalsozialisten in Österreich ein – jetzt war der 1. Mai "Tag der nationalen Arbeit".

Auf dem Linzer Hauptplatz, nunmehr Adolf-Hitler-Platz, wurde am 1. Mai 1938 ein mit Hakenkreuz geschmückter Maibaum aufgestellt. Im Linzer Arbeiterstadion (zwischen Semmelweisstraße und Prinz-Eugen-Straße) versammelten sich laut Zeitungsberichten 40.000 Menschen zu einer Kundgebung und lauschten als Höhepunkt der Rundfunkansprache Adolf Hitlers.

Am 1. Mai 1945 hatte darauf in Linz keiner mehr Lust. Das Stadion war zerstört, der Adolf-Hitler-Platz leer, der Namensgeber tot.

Von Westen rückten die Amerikaner vor. Für den Magistratsbeamten Anton Anreiter kamen sie zu spät. Er wurde auf Befehl von Gauleiter August Eigruber noch am 1. Mai hingerichtet, weil er sich für ein freies Österreich ausgesprochen hatte. Von den US-Truppen befreit wurde Linz am 5. Mai, sie setzten kurz darauf den Sozialdemokraten Ernst Koref als Bürgermeister ein.

Vor 20.000 Menschen hielt Koref ein Jahr später die Maiansprache auf dem Hauptplatz: "Nach dreizehn Jahren haben wir wieder unseren 1. Mai", rief er am 1. Mai 1946 vom Balkon des Rathauses der Menge zu. "Stürmische Zustimmung", notierten die Oberösterreichischen Nachrichten. Als Koref später zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes aufrief, "entblößte die Menschenmenge die Häupter, und geisterhafte Stille herrschte auf dem weiten Platz", schreibt der Chronist.