Trotz Freispruchs ruiniert
LINZ. Verteidigerkosten müssen Freigesprochene selbst bezahlen, und die können bei langen Verfahren ein Vermögen betragen. Der Staat leistet nur einen kleinen Beitrag.
447.311 Euro betrugen die Verteidigungskosten einer Grazer Managerin, die nach einem aufwendigen Schöffenverfahren vom Vorwurf der Untreue freigesprochen worden war. Rechtskräftig. Der Leumund blieb zwar unbefleckt, doch zu einem ruinösen Preis, denn der Staat zahlte, wie es das Gesetz vorsieht, nur einen Beitrag von 5000 Euro für die "notwendige" Verteidigung.
Den Rest müssen freigesprochene Angeklagte aus der eigenen Tasche bezahlen. Anders als in Zivilprozessen, bei denen die obsiegende Partei die Anwaltskosten vom Prozessgegner ersetzt bekommt, gewährt die öffentliche Hand in Strafverfahren bei Freisprüchen nur einen marginalen Kostenersatz: Bei Einzelrichter-Verfahren sind es bis zu 3000 Euro, bei schwurgerichtlichen Verfahren sind es bis zu 10.000 Euro.
Während mittellose Menschen einen Verfahrenshelfer ("Pflichtverteidiger") erhalten, der anstatt seines Honorars einen staatlichen Zuschuss zur Pension erhält, tragen Angeklagte, die sich von einem Verteidiger ihrer Wahl vertreten lassen, das volle Kostenrisiko.
"Kaum jemand kann sich über einen langen Zeitraum einen Strafverteidiger leisten", kritisiert der Linzer Rechtsanwalt René Haumer, der auch Generalsekretär der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger ist. Die Interessenvertretung fordert schon seit langem, dass der Staat bei Freisprüchen die Verteidigungskosten übernimmt oder dass die bestehenden Pauschalbeträge zumindest "massiv angehoben werden". Unterstützt wird dieses Anliegen von den Neos im Nationalrat. Justizsprecherin und Ex-Richterin Irmgard Griss hält die derzeitige Regelung in der Strafprozessordnung (StPO) für "nicht vereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen".
Vier Jahre prozessiert
Anwalt Haumer hat viel Erfahrung mit langwierigen Strafverfahren, erinnert sich etwa an den "Imperial"-Prozess, in dem es – wie sich herausstellte – zu Unrecht um den Vorwurf der Untreue bzw. betrügerischer Machenschaften mit Anlegergeldern ging. Vier Jahre verstrichen zwischen Anklage und rechtskräftigem Freispruch des beschuldigten Geschäftsführers. Mehr als 20 Verhandlungstage umfasste der Prozess.
"Rechnen Sie einen Verhandlungstag mit durchschnittlich acht Stunden", erläutert der Verteidiger. Der tarifliche Stundensatz für den Verteidiger betrage 408 Euro. Fünf- bis sechsstellige Kosten seien hier keine Seltenheit. "Ein komplexes Strafverfahren kann einen Menschen ruinieren, auch wenn er am Ende freigesprochen wird", sagt Haumer.
Diese Woche fand in der Causa Buwog am Landesgericht für Strafsachen in Wien der 87. Prozesstag statt. Seit Dezember 2017 versucht das Gericht herauszufinden, ob es bei der Privatisierung von 60.000 Bundeswohnungen zu Provisionszahlungen, illegalen Absprachen und Untreuehandlungen gekommen ist.
Bereits 45 Verhandlungstage
Der Linzer Anwalt und Strafrechtsexperte Oliver Plöckinger, der zwei Angeklagte im Buwog-Prozess vertritt, schätzt, "dass man am Ende wohl bei weit mehr als 150 Verhandlungstagen stehen wird".
"Irgendwann hat wohl auch der Vermögendste in einem solchen Verfahren kein Geld mehr, für Normalsterbliche ist das unleistbar." Unter mehreren hunderttausend Euro Verteidigungskosten "wird niemand aus dem Gerichtssaal rausgehen, ungeachtet, ob ein Schuld- oder Freispruch erfolgt." Hinzu kämen noch die Kosten für das Ermittlungsverfahren, das in der Buwog-Causa gleich mehrere Jahre bis zur Anklageerhebung gedauert habe. "Und dafür gab und gibt es keinen Kostenersatz", betont Rechtsanwalt Plöckinger.
Die lange Verfahrensdauer betreffe vor allem das Wirtschaftsstrafrecht und damit Schöffenverfahren: "Hier müsste man die Pauschalen stark erhöhen."
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Genau aus diesem Grund klagen Unternehmen oder Politiker, die irgendwelchen Mist gebaut haben, so gerne gegen Journalisten, Whistleblower oder andere Aufdecker.
Selbst wenn klar ist, dass die Unternehmen oder Politiker die Verbrecher sind, können diese Verfahren den Gegner ruinieren. Da braucht es gar keine politische Zensur, diese wirtschaftliche Zensur ist wesentlich wirkungsvoller.
Der Gesetzgeber macht sich hier zum Komplizen von Straftätern.
In solchen Fällen müsste der Kläger zahlen, oder es müsste einen mit mehreren Millionen Euro (eh ein Klacks) dotierten Rechtsschutzfonds geben, der sämtliche Verteidigungskosten für die Unschulsigen und Freigesprochenen übernimmt. .
Dazu habe ich noch einen Aspekt, der manchmal auch bei Verkehrs- und Strafverfahren zu Tragen ist:
Wenn die Sachlage so schwierig ist, dass ein Sachverständiger beigezogen werden muss, dann verdoppelt auch der Anwalt sein Honorar. Wegen der Schwierigkeit.
Das ist auf jeden Fall ein Skandal!
Jemand der freigesprochen wird, also im Grunde unschuldig verurteilt wurde, dürfte überhaupt keine Kosten tragen müssen.
So ist es jedenfalls in anderen Ländern völlig normal und selbstverständlich, nichts zu zahlen, wenn man unschuldig ist.
Zahlen müsste, in dem Fall, der Kläger, denn der hat eine unwahre Behauptung aufgestellt.
> Zahlen müsste, in dem Fall, der Kläger
Der ist in den Köpfen der Obrigkeit immer noch die Kaiserliche Hoheit...
Der Staatsanwalt residiert häufig im gleichen Haus wie das Hohe Gericht.
"Hier müsste man die Pauschalen stark erhöhen."
So ein Quatsch. Es müsste das gleiche Prinzip gelten: Der unterliegende Kläger zahlt auch im Strafverfahren bei Freispruch alles.
Natürlich nicht wirklich grundsätzlich "alles", sondern die Kosten nach RATG, was ja derzeit bei weitem nicht der Fall ist. Wer sich einen einschlägig medial bekannten Promianwalt leisten will, der darf die Mehrkosten gerne selber tragen.
Es bezahlt heute kein Mensch mehr dem Rechtsanwalt den vollen Tarif, dafür ist die Zahl der Mitbewerber zu groß, und die Versicherungen zahlten ohnehin für Verteidigerkosten immer nur den " TP3a" der bei etwa 20 Prozent des Verteidigersatzes liegt. Einfach zu einem billigeren Rechtsanwalt gehen, vergleichen lohnt sich.
Benötigen Sie öfter mal einen Verteidiger? Warum?
In Deutschland übernimmt der Staat die Kosten der Verteidigung zu 100%, wenn der Angeklagte freigesprochen wird.
Höchste Zeit, das auch in Österreich so zu übernehmen. Ich denke da auch an jene Tierschützer, die völlig zu Unrecht angeklagt wurden und jetzt allesamt finanziell ruiniert sind.
Die derzeitige Lösung ist eine besonders perfide Form zum Thema Zugang zum Recht. "Klagen Sie, wenn Sie sich´s leisten können."
Z.B. in Steuerakten: Einspruch gegen das (unter Ausschluss des/der Beteiligten) Urteil des Finanzgerichtes ist nur beim VwGH (mit Anwaltspflicht!) möglich - und dieser VwGH hat das Recht, die Klage ohne Angabe von Gründen abzuweisen. Ob Weisung oder Faulheit im Spiel ist, darf jeder individuell beurteilen! Der Abschreckungseffekt ist sicher.
Es geht hier aber nicht um Zivilklagen, sondern um Strafverfahren!
Da kannst du es dir nicht einmal aussuchen, ob du es dir leisten kannst - da musst du durch, auch wenn du nachher bankrott bist!
Ja, die Tierschützer sind mir auch als erstes eingefallen.
Freigesprochen, aber trotzdem am Ende.
War natürlich überhaupt keine Absicht dahinter, von Justiz und Kleider Bauer.
Diese Typen hatten vorher genauso viel Geld wie nachher. Nämlich NICHTS. Insofern ein schlechter Vergleich.
Ach - du kennst sie persönlich?
Alleswisser kennt sie natürlich nicht persönlich - aber Alleswisser muss ja irgendwie die 12.000 Sinnlospostings Marke überspringen.
Und da er wenig Ahnung hat von irgendwas, muss er eben den ganzen Tag seinen geistigen Unsinn überall abladen.
Oder kurz gesagt:
wenn man angeklagt wird, hat man in jedem Fall schon verloren ..
im Strafverfahren ist der Staat der Verlierer, wenn der Angeklagte frei gesprochen wird. Trotzdem zahlt der Staat die Verfahrenskosten nur zu einem geringen Teil.
Was willst du uns mitteilen außer dem Inhalt des Artikels?
Sorry, wenn ich mich hier überhaupt einmische, aber sonst platzt mir echt der Kragen. So wie ich den Artikel verstehe hat jemand, dem etwas strafrechtlich Relevantes vorgeworfen wird nur die Möglichkeit, sich irgendeinen, und aufgrund der Einnahmesituation wahrscheinlich nur mäßig motivierten Pflichtverteidiger zu nehmen, oder aber einen Kapazunder auf dessen nicht unbeträchtlichen Kosten er IN JEDEM FALL sitzen bleibt. Also gleichgültig, ob er schuldig gesprochen wird, oder eben, wie in diesem Fall, nicht. Daraus schließe ich, dass beispielweise auch Kosten für einen alternativen Gutachter, auch im Falle eines Freispruches beim ursprünglich Beklagten bleiben, obwohl dadurch möglicherweise seine Unschuld bestätigt wird. Der Kläger trägt also in keinem Fall das Risiko, diese nicht unbeträchtlichen Kosten tragen zu müssen. Kommt das jetzt nur mir ein wenig merkwürdig vor, oder habe ich da was falsch verstanden?
Grundsätzlich hast du recht. Wobei im Strafverfahren der Kläger der Staat ist. Deswegen wird ja auch immer vom Verteidiger geschrieben und nicht einfach vom Anwalt.
Ich kann nur empfehlen: Rechtsschutzversicherung! Da muss man zwar auch immer noch aufpassen, was die übernimmt und eventuell ausschließt, aber man ist wenigstens mal grundsätzlich abgesichert und steht nicht komplett allein da.
die Rechtschutzversicherung zahlt für Vorsatzdelikte nicht und um die geht es ja!
Auch nicht, wenn ich es gar nicht war? Wenn mich einer angezeigt hat, und es stellt sich dann als haltlos heraus?
Oida!
Ja so ist es. Lese einfach die Bedingungen, bevor du eine Versicherung abschließt.
Ich dachte mir der Kläger der Verliert muss dafür aufkommen?
Lesen hilft: im Zivilverfahren ja, im Stafverfahren nein.