Untreue neu: Kommt die Justiz mit weniger "Breitbandantibiotikum" aus?

06.November 2015

Betrachtet man die großen Wirtschaftsstrafprozesse der vergangenen Jahre, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich beim Untreuetatbestand gleichsam um ein Breitbandantibiotikum handelt, das bei nahezu sämtlichen Fällen von Wirtschaftskriminalität von der Staatsanwaltschaft eingesetzt wird. Ob im Fall Libro, wo die Ausschüttung einer Sonderdividende an die Alleinaktionärin nicht nur zur Anklage der damaligen Vorstände, sondern auch des Aufsichtsrates und des Wirtschaftsprüfers führte oder ob im Fall Styrian Spirit, wo Kreditvergaben an ein notleidendes Unternehmen ohne entsprechende Sicherheiten zur Verurteilung führten. In all diesen Fällen wurden ein wissentlicher Befugnismissbrauch der jeweiligen Machthaber (Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte) sowie das Vorliegen eines Vermögensnachteils zu Lasten des Machtgebers (der jeweiligen Gesellschaft, für die der Machthaber gehandelt hat) und somit der Tatbestand der Untreue bejaht.

Aber Untreue greift auch in weniger spektakulären Fällen, wie beispielsweise beim Geschäftsführer, der missbräuchlich mit seiner Firmentankkarte die privaten Einkäufe einfach mitbezahlt.

Mitunter spektakuläre Verurteilungen der vergangenen Jahre, aber auch heftige Kritik am geltenden Untreuetatbestand durch Wissenschaft und Praxis haben den Gesetzgeber dazu bewogen, den Untreuetatbestand (§ 153 StGB) mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2016 zu reformieren und damit wohl auch dessen Anwendungsbereich einzuschränken. In Hinkunft soll es für einen Befugnismissbrauch erforderlich sein, dass der Machthaber "in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstößt, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienen".

Die Grenzen der Befugnis von Geschäftsführern/Vorständen richten sich wie bisher nach den sich aus dem Gesellschaftsrecht ergebenden Organpflichten. Zur Konkretisierung des Ermessensspielraums für unternehmerische Entscheidungen wurde die in den USA entwickelte Business Judgement Rule – dem Vorbild des deutschen Gesetzgebers folgend – im AktG und GmbHG gesetzlich verankert. Demnach sind – zusammengefasst – Entscheidungen dann zulässig und vertretbar, wenn sich der Geschäftsführer/der Vorstand nicht von sachfremden Interessen leiten lässt und er auf der Grundlage angemessener Information annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Diese Definition lässt auf den ersten Blick einiges an Interpretationsspielraum zu und man darf schon gespannt sein, wie die Strafgerichte diese Bestimmung auslegen werden. Eine weitere heiße Kartoffel hat der Gesetzgeber jedoch nicht aufgegriffen: Die vieldiskutierte Frage, ob Untreue für den Geschäftsführer auch dann möglich ist, wenn er vor seiner das Vermögen der Gesellschaft schädigenden Entscheidung, beispielsweise vor einer verdeckten Gewinnausschüttung, die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter eingeholt hat. In solchen Fällen gilt weiterhin der düstere Befund nach der Libro-Entscheidung: Eine derartige Zustimmung vermag den Geschäftsführer weder gesellschafts- noch strafrechtlich zu entlasten. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Staatsanwaltschaften die Verfolgung wegen Untreue auf die zustimmenden Gesellschafter ausdehnen werden.