Thierry Henry: Der Überläufer
Was wird heute in ihm vorgehen, wenn er vor dem WM-Halbfinalspiel Frankreich gegen Belgien die Marseillaise hört?
Thierry Henry wird sicher nicht die Hymne seines Heimatlandes mitsingen. Der 123-fache französische Teamspieler steht heute nämlich im falschen Lager. Henry ist Co-Trainer des belgischen Teams und könnte aufgrund seines Insiderwissens zum Schlüsselspieler werden, obwohl er gar nicht auf dem Platz steht.
"Er ist Franzose und trotzdem unser Gegner. Das ist eine bizarre Situation", sagt Frankreichs Teamchef Didier Deschamps, der während seiner aktiven Zeit 21 Länderspiele gemeinsam mit Henry bestritten hat und dabei den Platz nie als Verlierer verlassen musste. 1998 feierte man gemeinsam den Weltmeistertitel, zwei Jahre später wurde man Europameister. Auf Vereinsebene avancierte Henry beim FC Arsenal zum Weltklasse-Stürmer, mit dem FC Barcelona holte er Pokal, Meistertitel und die Champions League. Seine Karriere ließ er als Top-Verdiener bei Red Bull New York (Jahresgage ohne "Nebengeräusche" 3,7 Millionen Euro) ausklingen.
Auch wenn Henry zu den Ikonen des französischen Fußballs zählt, war der Sohn karibischer Eltern (Vater aus Guadeloupe, Mutter aus Martinique) in seiner Heimat nicht der große Publikumsliebling. Zu bald hat der 40-Jährige, der von 2003 bis 2007 mit einem britischen Fotomodell verheiratet war – die gemeinsame Tochter ist zwölf –, seinen Lebensmittelpunkt nach London verlegt. Die Frage, warum er nach einer ersten Trainerstation beim Nachwuchs des FC Arsenal jetzt nicht für den französischen Verband arbeitet, beantwortet Henry mit diesem Stehsatz: "Mich hat niemand gefragt." In Belgien war das anders. Frankreichs Sport-Zeitung L’Équipe kommentierte den Laufweg des Ex-Stürmers zum "falschen" Nationalteam so: "Die Frage ist, ob er Frankreich verlassen hat oder Frankreich ihn." Finanziell sei Henry jedenfalls ein Schnäppchen gewesen. Sein monatliches Einkommen als belgischer Co-Trainer beträgt 8000 Euro. Der Fußball-Millionär spendet es für wohltätige Zwecke.