Zehn Dinge, die ich an dir hasse

Von Peter Filzmaier   26.September 2014

Bei der Vorarlberger Landtagswahl gab es 36 Prozent Nichtwähler. Für die erstplatzierte ÖVP stimmten 27 Prozent der Wahlberechtigten. Alle anderen Parteien erhielten von vier bis 15 Prozent des Volkes Zuspruch. Der Großteil wollte also keinen Politiker wählen.

Warum nur, warum? Sie – die Politiker – sind faul, korrupt und machtbesessen. Das ist der Titel eines Buches. Zudem seien sie abgehoben, würden Versprechen brechen, in Worthülsen reden und so weiter und so fort.

Wer das glaubt, sollte das zitierte Buch nicht lesen. Autor Nikolaus Blome hält nicht der Politik eine Standpauke, sondern den Wählern. Es empfiehlt sich daher, unsere Lieblingsvorurteile gegen Politiker auf ihre Tauglichkeit zu testen. 10 Dinge, die wir hassen:

 

1 Politiker sind Faulsäcke! Das zu behaupten, macht Tachinierer zu Stammtischhelden. In einer Umfrage sagten zugleich 95 Prozent der Schimpfenden, nichts über den politischen Alltag zu wissen. Dieser enthält kaum Wochenenden, sondern sieben 12-Stunden-Tage unter Dauerbeobachtung. Das Recht auf Privatheit kann man vergessen. Kaum jemand will mit den Politikern tauschen. Oder wollen Sie? Inhaltliche Kritik an der Arbeit wäre schlauer als das Klischee der Faulheit.

2 Politiker sind arrogant und ohne Bezug zum wirklichen Leben! Ein paar Selbstdarstellern mit dem Mitgefühl eines Kühlschranks stehen Tausende Mandatare gegenüber, welche in Bürgerkontakten zuhören. Jedes Gespräch geht auf Kosten anderer, die sich über den Zeitmangel beschweren. Wird ein Dorffest länger besucht, stößt das sämtliche Nachbarkirtage vor den Kopf.

Hinzu kommen Bildungsbürger, die Politikern Abgehobenheit vorwerfen. Sie kennen oft noch weniger die Lebenswelt von Langzeitarbeitslosen, befristete Teilzeitjobs für Alleinerzieherinnen mit drei Kindern, die Perspektivenlosigkeit von Schulabgängern oder den vierten Stock eines Baugerüsts. Es gibt einfach mehr Wirklichkeiten, als Politiker erfahren können.

3 Politiker sind macht geil! Max Weber definiert Macht als Chance, für Befehle Gehorsam zu finden. In der Politik reden viele Institutionen mit, was zu Blockaden und Vetos führt. Im Wechselspiel der Staatsgewalten, der EU und des Föderalismus sowie der Sozialpartner hat jeder Pudelbesitzer höhere Befehlsgewalt als ein Amtsträger. Warum ist zudem Macht negativ besetzt, und sind Bessermacher, die es ehrlich meinen, schlechter als wir ewigen Besserwisser?

4 Politiker kassieren ab! Nach Abzug aller Abgaben plus Parteisteuer verdienen Minister netto 6.000 bis 7.000 Euro im Monat, Nationalratsabgeordnete etwa 3.500 bis 4.000. Das ist viel Geld. Doch Spitzenpolitiker sollen gut bezahlt werden, weil sie ein Milliardenbudget verantworten.

Die meisten Bürgermeister haben weniger und stehen bei Neuwahlen oder Gemeindefusionen ohne Gehaltsfortzahlung, Abfertigung und Pensionsversicherung da. Gemeinderäte bekommen 150 Euro.

Im Vorjahr zahlten 51 öffentliche Einrichtungen von A wie Albertina bis Ö wie ÖBB mehr, als der zuständige Minister erhielt.

Laut "Vergütungsreport für Führungskräfte" kommen in der Privatwirtschaft Bereichsleiter an das Ministergehalt heran. Zuzüglich Prämien, die es in der Politik nicht gibt. Von 2003 bis 2013 erhöhten sich die Vorstandsbezüge der ATX- Unternehmen um 137,5 Prozent. Die Politikergehälter blieben fast gleich.

5 Politiker sind korrupt! Von Strasser und Grasser – die Ex-Minister Ernst und Karl-Heinz sind gemeint – bis zu den Kärntnern Uwe Scheuch und Josef Martinz. Sind nicht Ermittlungen und Verurteilungen ein Beweis, dass das Justizsystem funktioniert? Rechtfertigt das Pauschalurteile, alle wären so?

Wir haben inklusive Gemeindeebene fast 50.000 aktive Politiker. Jeder Korruptionsfall ist einer zu viel, doch deren Summe bleibt im Promillebereich. Gleichzeitig gibt es in Österreich jährlich 10.000 Fälle von Kindesmissbrauch. Begangen auch von einzelnen Ärzten, Lehrern, Kindergärtnern oder Pfarrern. Sind da jeweils alle Sexualstraftäter? Natürlich nicht.

6 Politiker sind Geldverschwender! Bei objektiv nutzlosen Ausgaben ist das richtig. Hinter jeder bekrittelten Förderung steht freilich eine Bevölkerungsgruppe, die subjektiv widerspricht. In den ORF-Sommergesprächen wurde Vizekanzler Reinhold Mitterlehner aus dem Publikum mit der vorwurfsvollen Frage konfrontiert, warum der Staat nicht jeder Familie ihr Einfamilienhaus ermögliche. Solches Wollen der Bürger macht Einsparungen schwierig.

7 Politiker reden leeres Zeug, versprechen alles und halten nichts! Im Privatleben würden wir nicht absolut jeden in bester Absicht gemachten und falschen Zukunftsplan als unverzeihliche Lüge ansehen. Es kann etwas dazwischenkommen oder die Umstände können sich ändern. Politiker müssen in Stehsätze flüchten, weil ihnen das Archiv als Rache der Journalisten die kleinste Kleinigkeit einer Fehlprognose vorhält.

Umgekehrt würde es sich übrigens rächen – was man selbst alles geschrieben hat und doch anders gekommen ist. Ach ja, und was Wahlversprechen betrifft: Jede Koalitionsverhandlung endet naturgemäß mit Kompromissen als Bruch derselben. Mündige Bürger wissen das.

8 Politik ist kein Beruf! Fast jeder Quereinsteiger anerkennt, dass die Sache schwieriger ist als gedacht. Lang ist die Liste erfolgreicher Politiker von außen sowieso nicht. Soll Frank Stronach als Musterbeispiel herhalten? Eher hat die These etwas für sich, dass Politiker ein umfassendes Qualifikationsprofil von Fachwissen, Organisationskompetenz und Kommunikationsfähigkeit haben müssen.

9 Politiker sind dumm! Der formale Bildungsgrad belegt nicht immer die Denkfähigkeit. Überall gibt es Menschen, die beim Intelligenztest durchfallen. Doch haben Nationalräte besonders oft maturiert und ein Studium absolviert. Ist das ein Nachteil?

10 Ein letzter Vorwurf! Bloß ein Vorwurf gilt für Parteipolitiker aller Traditionsfarben nahezu ohne Einschränkung. Sie werfen sich die beschriebenen Dinge ständig gegenseitig vor, und wundern sich am Ende, dass wir sie glauben. Das ist zugegeben ein Indiz für den neunten Punkt.

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz.