Europa, gemeinsam oder separierte Bedeutungslosigkeit
Ein Gastkommentar von Hannes Androsch.
Im Juli übernimmt Österreich den EU-Ratsvorsitz. Unter österreichischer Präsidentschaft stehen wichtige Weichenstellungen an, so etwa die Umsetzung der Sicherheits- und Migrationsagenda, möglichst die Beschlussfassung des nächsten Finanzrahmens ab 2021, das Finale der Brexit-Verhandlung mit Großbritannien und vor allem die Diskussion über die Zukunft der EU sowie der Eurozone. Das Umfeld ist alles andere als hilfreich. Nicht nur die innereuropäischen Entwicklungen wie das Erstarken rechtspopulistischer, antieuropäischer Parteien oder die sich verschärfenden Konflikte über europäische Werte oder die liberale Gesellschaftsordnung stellen Europa vor große Herausforderungen. Viel mehr noch fordert das geopolitische Umfeld die europäischen Staaten heraus: Die globalen Umbrüche mit einem isolationistischen Amerika, einem wiedererstarkten China, mit russischen Großmachtambitionen und den Verwerfungen in der islamischen Welt fördern die Erosion der westlichen Weltordnung. Für die EU ist vor allem jener "Ring of Fire" problematisch, der sich von der Ukraine und den Konfliktregionen im Kaukasus über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Nord- und zur Küste Westafrikas zieht. Mit diesem Raum der Instabilität muss sich die EU stärker als bisher befassen. Gleichzeitig muss sie anerkennen, dass sie sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen nicht länger auf die USA verlassen kann, sondern sich emanzipieren sowie eigene Lösungsansätze erarbeiten muss. Eines ist dabei sicher: Angesichts der Vielzahl und Komplexität der Herausforderungen kann die Lösung nicht in der von Rechtspopulisten propagierten Rückkehr zu nationalistisch autoritärer und illiberaler Kleinstaaterei liegen. Selbst den größten europäischen Ländern droht im Falle ihres Alleingangs die Bedeutungslosigkeit. In Anbetracht der neuen Weltunordnung braucht es ein gestärktes und geeintes Europa im Rahmen einer politischen Union, mit gemeinsamer Sicherheits-, Außen- und Asylpolitik, einer koordinierten Finanz- und Wirtschaftspolitik, einer strategischen Bildungs-, Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationspolitik und auch eines sozialen Europas mit einem Mindestmaß an balanciertem Ausgleich mittels einer Transferunion. Nur im Verbund der europäischen Staaten hat Europa eine Chance, ein Global Player zu bleiben. Eine alpine Wagenburg in einer Festung Europa ohne eigene Außengrenzen und Mittel, diese zu schützen, ist keine Lösung, und auch keine "Achse der Willigen" – von den unseligen Analogien zu 1936 mit seinen verheerenden Folgen oder der desaströsen Irak-Invasion 2003 ganz zu schweigen. Die EU kann nur durch das gemeinsame Vorgehen ihrer Mitglieder erfolgreich sein. Die Devise lautet also eindeutig: "Europa, gemeinsam oder bedeutungslos!"
Hannes Androsch ist Unternehmer und ehemaliger österreichischer Vizekanzler und Finanzminister