Würdigung des Displaysprungs

Von Martina Mara   09.Juni 2018

Das haben Forscher der University of Illinois kürzlich durch eine Beobachtung von rund 3000 Fußgängern in Paris herausgefunden. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass der Anteil dieser sogenannten "Phone Walker" in österreichischen Städten kleiner wäre. Im Gegenteil.

Viel mehr noch als der in Frankreich und andernorts gebräuchliche Begriff des "Mobile" schreit unser denglisches "Han-dy" ja schon etymologisch danach, beständig in der Hand getragen zu werden. Das Handy gehört also ins Handi, und je öfter es sich dort aufhält, desto öfter entgleitet es demselben. Wir alle kennen es: Handys, und seien sie noch so griffig, scheinen in absurd hohem Ausmaß der Schwerkraft zu unterliegen. Kopfsteinpflastern, Gehsteigkanten oder Fliesenböden köpfeln sie geradezu entgegen. Im Leben eines Handyträgers kommt es daher früher oder später unweigerlich zu dem Moment, in dem er sich bückt, kurz noch auf die Resilienz des Panzerglases hofft, das mit dem Display nach unten liegende Handy umdreht – und realisiert: ein Sprung. Oh no! Der theoretisch möglichen Reparatur eines gesprungenen Displays stehen zwei Argumente im Weg. Erstens ist sie teuer. Und schlimmer: Sie erfordert ein Aus-der-Hand-Geben des Handys, meist für mehrere Tage, zumindest aber für einige Stunden. Viele entscheiden sich daher für das geringere Übel: Sie lernen, mit den Frakturen ihres liebsten Armanhängsels zu leben, laben sich an milden Blicken Gleichgesinnter und praktizieren eine neue Lockerheit.

Ist der erste Sprung einmal akzeptiert, schleudert es sich das Handy künftig viel unverkrampfter auf die Schotterstraße. Überhaupt ist der Displaysprung ja auch ein schönes Zeichen. Sein Ertragen beweist Mut zur Imperfektion in einer nach Perfektion strebenden Welt. Und er führt die Werbebotschaft der True-Tone-Retina-Gschistigschasti-Displays mit großer Radikalität ad absurdum. Manchmal träume ich von einem überdimensionierten Kunstwerk, in dem tausende individuelle Displaysprünge als feine Bleistiftzeichnungen nebeneinander stehen. Wie Handlinien unserer Epoche. Im Jahr 2055 würden sich ein paar Jungspunde die Arbeit im MoMA ansehen. Man würde ihnen erklären, dass es früher weder biegsame Folienhandys noch Google-Kontaktlinsen gab und dass die Leute daher starre Dinger mit spröden Glasdisplays in der Hand herumgetragen haben, die ihnen ständig hinunterfielen. Und die Jungspunde würden sich denken: Ein bisschen schräg waren unsere Großeltern schon.
 

Martina Mara ist Professorin für Roboterpsychologie an der JKU. Twitter: @MartinaMara. E-Mail: mara@nachrichten.at