Radikale Atome im Anflug auf Linz

Von Martina Mara   06.September 2016

Ab Donnerstag geht nämlich das Ars Electronica Festival in die nächste Runde. Sofern Sie kein fanatischer Pokémon-Go-Spieler sind oder einer sonstigen Spezies mit dauerhafter Kopf-nach-unten-Neigung angehören, haben Sie in Linz und Umgebung vielleicht schon eines der diesjährigen Festivalplakate entdeckt: "Radical Atoms" steht da drauf, das Motto der Ars Electronica 2016. Das klingt ein bisschen nach Radioaktivität oder einer Art schwarzem Block auf Molekularebene.

In Wirklichkeit bezeichnen die radikalen Atome aber ein Zukunftskonzept von Hiroshi Ishii, Professor am legendären Massachusetts Institute of Technology, das heuer gemeinsam mit uns das Festival gestaltet. Was er damit meint, sind – pardon my French – computergeborene Barbapapas. Sie wissen schon: die birnenförmigen Zeichentrickwesen, die seit den 1970ern Kinder aller Generationen entzücken. Besonders imponierend war ihre Fähigkeit zum Formwandeln. Und diese ist eben auch zentrales Charakteristikum der Radical Atoms, die man technisch als winzige, aneinander haftbare Roboterteilchen beschreiben kann.

Analog zu bunten Pixeln, die sich heute beliebig am flachen Computerbildschirm anordnen, sollen sich Radical Atoms später einmal im dreidimensionalen Bereich verhalten: Wie ein Schwarm von Miniaturfischen, übereinander, nebeneinander, hintereinander, könnten sie im Kollektiv fast jede erdenkliche Form darstellen. Haut das erst mal hin, sind den Anwendungsmöglichkeiten solch eines flexiblen 3D-Displays kaum noch Grenzen gesetzt. Stellen Sie sich beispielsweise ein Möbelstück aus Radical Atoms vor. Auf Zuruf könnte es vom Tisch zum Sessel mutieren, die Sitzhöhe würde automatisch an Ihre Körpergröße angepasst. Oder Mobiltelefone. Benutzt man zu viele Schimpfworte, fährt das Handy Stacheln aus. Naja. Diese (unterschiedlich begehrenswerten) Szenarien sind freilich noch ferne Zukunftsmusik.

Erste, eindrucksvolle Prototypen gibt es ab Donnerstag aber bereits beim Ars Electronica Festival in Linz zu sehen. Darunter sind etwa eine digital verformbare Sofalandschaft oder ein 3D-Display, das weit entfernte Objekte physisch in den Raum zaubern kann. Klar, diese Technologien manifestieren sich aktuell noch auf der Makroebene, ein einzelnes "Atom" ist teils viele Zentimeter groß.

Trotzdem lassen die Grobmodelle bereits erahnen, wie eine Zukunft mit Radical Atoms im Mikrostadium aussehen könnte. In einigen Jahrzehnten hat vielleicht jeder seinen persönlichen Barbapapa daheim. Und "Ra-Ru-Rick, Barbatrick" ist der meistbenutzte Sprachbefehl des Jahres 2056.

 

 

Martina Mara ist Medienpsychologin und forscht am Ars Electronica Futurelab zu Mensch-Roboter-Beziehungen.

Die OÖN-Kolumnistin führt von 27.-29. September am AEC eine Studie zur Bewertung eines neuen Service-Roboters durch. Dafür werden noch Teilnehmer gesucht! Mehr Infos und Anmeldung unter folgendem Link: http://www.aec.at/futurelab/studie/