Man muss auch bitter essen können

Von Erich Lukas   19.Jänner 2017

Feinfühligkeit, die verlässlich Treviso von Radicchio, Medizin von Gift unterscheiden kann. Was für ein Schatz! Doch der Mensch schlägt ihn aus. Er versucht, die Bitterkeit aus der Welt zu züchten, er zähmt den Rucola, erfindet rosa Grapefruits, weil die weißen zu viel Wumms haben. Und wenn er es nicht schafft, die Natur zu entbittern, verfälscht er ihren Geschmack durch sogenannte Bitterblocker, Substanzen, denen es gelingt, die Zunge auszutricksen. Warum machen wir das? Weil die Bitterkeit als Warnung auf die Welt gekommen ist: Vorsicht, das ist giftig, spuck es sofort wieder aus! Darum reagieren Kinder so heftig auf alles, was bitter schmeckt, es schützt sie davor, etwas hinunterzuschlucken, was ihnen schaden könnte.

Doch deswegen die Bitterkeit eliminieren zu wollen, ist nicht nur ungerecht, es ist auch hochgradig unvernünftig. Denn mit ihr lässt sich beim Essen und Trinken viel anfangen. Sie balanciert Säure aus, sie macht den Geist wach und klar, sie rundet Geschmacksakkorde ab, sie lässt Gerichte erwachsen wirken. Bitteres zu mögen, muss man sich erarbeiten. Das gelingt einem am besten, wenn man sich auf Küchen einlässt, die es noch zu schätzen wissen-die italienische oder die chinesische zum Beispiel-und deren Raffinessen erforscht. Wenn man es schafft, eröffnet sich einem ein Geschmackskosmos, in dem es sehr viel mehr Sensationen gibt als in der Schonkost-Welt, die auf jede Bitternis verzichtet. Glücklicherweise findet man sie zunehmend leichter, da sie gerade ein erstaunliches Comeback erlebt. Etliche Köche bemühen sich um die Rehabilitation eines lange missachtenden Geschmacksuniversums. Bitter tut nicht weh, sondern gut. Schließlich ist beim Essen und Trinken nur eines wirklich bitter: Langeweile.

Probieren sie einmal Puntarelle, auch Vulkanspargel genannt, zubereitet mit Tagliolini, Parmesan, Knoblauch, Kapern, Zitrone, Pfefferschote und Olivenöl ein wahrer Augen und Gaumenschmaus.