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Wenn du nicht zahlst, suche ich dich heim

Von Nora Bruckmüller, 17. Jänner 2019, 15:08 Uhr
Joy Alphonsus, die kraftvolle Hauptdarstellerin Bild: Filmladen

Frauenhandel von Nigeria nach Wien: Sudabeh Mortezais neuer Kinofilm „Joy“ in der OÖN-Kritik. Der Start ist am 18. Jänner.

Sie überrollt einen fast. Die erste Szene von Sudabeh Mortezais Kinofilm „Joy“ ist laut, hektisch, schrill, für Augen, die so etwas noch nie gesehen haben, beinahe irre, weil unverständlich.

Ein alter, ausgezehrter Mann springt in seiner verwohnten Behausung umher. Er hantiert mit einem Huhn. Eine junge Frau, die nur ein umgebundenes Tuch trägt, sieht ihm zu. Unaufhörlich kommen Worte aus seinem Mund. Ein scheinbar endloser Redefluss, in dem seltsame Sätze fallen:

„Wenn eine Hexe ein Baby tötet, erfährt es der Iroko-Baum.“
„Wenn du zahlst, helfe ich dir. Wenn du nicht zahlst, suche ich dich heim.“

Dass das in Afrika sein muss, weiß man als westlicher Zuseher schnell – schließlich passt das Bild von dieser Hütte zu jenem, das man ohnehin hat. Dass die Regisseurin einen mitten in ein Voodoo-Ritual in Nigeria „schmeißt“, erkennt man nach und nach. Was man sicher weiß: Die junge Frau ist dem Mann und dem, was er kulturell und gesellschaftlich bedeutet, unterlegen.

Ironischerweise ist mit ihrer Wortkargheit ausgerechnet der Ton für diesen Film gesetzt. Nicht, weil die Frauen in „Joy“ – wie jene aus der ersten Szene – kaum sprechen, und wenn, dann meistens, nachdem sie angesprochen worden sind. Sondern, weil Mortezai Ruhe und Stille so viel Raum gibt.

Ein so kluger Kniff. Denn er lässt Gedanken zu, gibt Zeit, zu spüren und zu verstehen, und ist ein so krasser Gegensatz, ein stilistisch fantastischer Aufschrei gegenüber all der Hässlichkeit, die in gewöhnlichen Filmen äußerst hysterisch inszeniert werden.

Traumatisierendes wie vom Fließband

Was Hauptfigur Joy (Joy Alphonsus) als nigerianische Sexarbeiterin auf dem Wiener Straßenstrich erlebt, sind Himmelschreiende Abscheulichkeiten. Doch ihre Darstellerin hakt sie nacheinander ab, als würde sie Situationen, die traumatisieren, stoisch abarbeiten. Sie kommen daher wie vom Fließband.

Joy ist erfahren und wird von ihrer „Madame“, die (ausschließlich weiblichen) Zuhälterinnen in dieser Form des Gewerbes, beauftragt, sich um „die Neue“ zu kümmern: Precious (Mariam Precious Sansui).

Precious verdient in ihrer ersten Woche nur 250 Euro statt der vereinbarten 1000 Euro. Der jungen Frau ist die Arbeit zu hart, mit Männern zu schlafen, die sie nicht liebt. Um sie „gefügig“ zu machen, lässt sie die Madame von ihren Handlangern vergewaltigen. Dann ist sie Joys „Problem“.

Eines von vielen. Denn Joy hat noch eine kleine Tochter, die sie bei einer Ziehmutter untergebracht hat und selten sieht. Einen angeblich schwerkranken Vater in Nigeria, der für eine teure Operation Geld braucht, einen einheimischen Verehrer, der ihr 6000 Euro gibt, damit sie sich freikaufen kann, aber sie danach in einer Geheimwohnung verstecken würde – er hat Frau und Kind. Dazu die ständige Bedrohung durch Krankheit und Gewalt.

Was Joy nicht hat: ihren Pass, Papiere für einen langfristigen, legalen Aufenthalt in Österreich, eine Ausbildung und die familiäre und kulturelle Freiheit, sich ein eigenes Leben aufzubauen.

Zwischen Selbstschutz und Menschlichkeit

Fast noch intensiver als die erschreckenden Eruptionen von körperlicher und emotionaler Gewalt, die das im Film illustrierte System der Unterdrückung, Ausbeutung und Abhängigkeit immer wieder neu definieren, ist aber Joys Umgang damit. 

Ihr Überleben ist eine von Mortezai exzellent gezeichnete und von Klemens Hufnagel (Kamera) auch so fotografierte, nervenaufreibende Gratwanderung zwischen purem Selbstschutz und Situationen, in denen Menschlichkeit für Joy nicht verhandelbar ist.

So sagt sie zu Precious: „Schau‘ den Männern nicht ins Gesicht, denke an das Geld, finde einen, der dich mag und dir hilft, deine Schulden im Nu zu begleichen. Aber wenn ich dich töten oder dich bestehlen muss, um zu überleben, dann tue ich das. Vertraue nur dir selbst!“

Das geht durch Mark und Bein – wie der gesamte, inhaltlich und formal beeindruckend geratene Film, getragen von Darstellerinnen, die vorher (fast) keine Spielerfahrung hatten, aber für die der Begriff „Laien“ einfach eine Beleidigung wäre.

„Joy“: A 2018, 101 Min, Regie: Sudabeh Mortezai
Ab 18. Jänner im Kino 

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2  Kommentare
2  Kommentare
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herzeigbar (5.104 Kommentare)
am 17.01.2019 16:29

So sagt sie zu Precious: „Schau‘ den Männern nicht ins Gesicht, denke an das Geld, finde einen, der dich mag und dir hilft, deine Schulden im Nu zu begleichen. Aber wenn ich dich töten oder dich bestehlen muss, um zu überleben, dann tue ich das. Vertraue nur dir selbst!“

Kein Unterschied zu Österreich 2019.

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mape (8.842 Kommentare)
am 17.01.2019 17:24

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