Oasis-Chef Noel Gallagher meldet sich zurück

Von Lukas Luger   14.Oktober 2011

Denn der frühere Oasis-Frontmann legt in den zehn Songs eine bis dato nicht für möglich gehaltene Abgeklärtheit und innere Ruhe an den Tag. Müsste man als Mitglied der schreibenden Zunft nicht Angst haben, dass einem der mit einem beachtlichen rechten Haken ausgestattete Noel für die Bemerkung eine reinhauen würde, könnte man gar von Altersweisheit sprechen.

Es ist müßig, an dieser Stelle noch einmal all die musikalischen Referenzpunkte des Noel G. aufzuzählen. Wer nur ein einziges Oasis-Album im Regal stehen hat, weiß ohnehin, aus welchen Quellen sich das Gallaghersche Schaffen seit Anbeginn speist. Um es kurz zu machen: Noel Gallaghers erstes Soloalbum steht in einer vertrauten Tradition. Es klingt exakt so, wie man es erwarten durfte. Die Stücke sind allesamt kraftvoll, melodisch und zitieren scheinbar mühelos alle möglichen folkigen und rockigen Sachen aus den vergangenen vier Jahrzehnten englischer Popmusik.

Typischer Stampfrhythmus

Die erste Single „The Death of You and Me“ ist ein an die Kinks erinnernder gepflegter Midtempo-Shuffle, der in seiner Mischung aus Arroganz, Wehleidigkeit und großer Herzblut-Melodie einige der besten Songs von Noels alter Band locker in die Tasche steckt. Auch das unglaublich eingängige „If I Had A Gun...“ und „Soldier Boys And Jesus Freaks“ sind überdurchschnittlich gut gelungen und bedienen sich des Gallagher-typischen Stampfrhythmus, den man auch auf jedem Oasis-Album seit „What’s The Story, Morning Glory“ findet.

Das seit zehn Jahren auf zahllosen Bootlegs kursierende „Stop The Clocks“ ist zwar nicht das vollmundig prophezeite Meisterwerk, aber doch ein sehr ordentliches Stück Musik geworden. „Everybody’s On The Run“ ist rockiger Durchschnitt, ebenso wie „(Stranded On) The Wrong Beach“. Was sich der gute Herr Gallagher bei der Disco-infizierten Grauslichkeit von „AKA... What a Life!“ gedacht haben mag, bleibt aber ein absolutes Rätsel.

Pophistorische Aufklärung

Egal. Denn „Dream On“ versöhnt und weckt in seiner federleichten Erhabenheit (mit La-La-La-Chören!) Erinnerungen an vergangene Sommertage, während „(I Wanna Live In A Dream In My) Record Machine“ einen auf einen 4:23-minütigen Nostalgie-Trip in die Vergangenheit entführt, als Musik noch aus Kassettenrekordern mit Röhrenverstärkern drang. Die MP3-Generation wird angesichts solch rückständiger Technik Mama und Papa um pophistorische Aufklärung bemühen müssen.

Es scheint, als habe der 44-jährige Ex-Oasis-Chef endlich seine Stimme gefunden. Selbstbewusst, ohne den Hang zur gnadenlosen Selbstüberschätzung. Entspannt, ohne sich als berufsjugendlicher Wiederkäuer früherer Großtaten zu betätigen. Vielleicht wird Noel Gallagher nie wieder einen Klassiker wie „Wonderwall“ oder „Don’t Look Back In Anger“ schreiben. Und ganz sicher wird er niemals die Klasse seines Vorbilds John Lennon erreichen.

Solange er aber großartige Songs wie „The Death Of You And Me“ oder „If I Had A Gun“ schreibt, kann ich damit leben. Sehr gut sogar.

Die CD:

Noel Gallagher: „High Flying Birds“

OÖN-Kritik: 5/6 Sterne