Die grausame Abwärtsspirale bis in den einsamen Tod

Von Michael Wruss   15.Oktober 2013

Es gibt kein Tier, das es so sehr auf seine eigene Art abgesehen hat wie der Mensch – und niemand lernt daraus. Das ist nicht bloß eine der vielen Botschaften von Iain Bells erster Oper „A Harlot’s Progress“, sondern auch die seiner Vorlage, des 1731 entstandenen Bilderzyklus’ des sozialkritischen englischen Malers William Hogarth. Ein naives Mädchen, Moll Hackabout, kommt nach London, gerät in die Fänge der Kupplerin Mother Needham. Durch Vergewaltigung gefügig gemacht, geht es für sie bergab, sie wird Hure (Harlot), bekommt ein Kind, erkrankt an Syphilis und stirbt einen einsamen Tod.

Schon Igor Strawinsky griff für seine Oper „A Rake’s Progress“ auf die lebensechten Stiche William Hogarths zurück und Iain Bells Werk stellt so etwas wie die logische Fortsetzung dar. Bei Strawinsky war es W. H. Auden, der die Bilder sprachlich zum Leben erweckte, für Bell besorgte dies der englische, vor allem für seine historischen Romane bekannte Autor Peter Ackroyd. Daraus ist ein packendes, erschütterndes Stück geworden. Jens-Daniel Herzog hat in der großartigen Ausstattung von Mathis Neidhardt und Sybille Gädeke eine gnadenlos jedes Detail ins Blickfeld rückende Inszenierung geschaffen. Iain Bells Musik entwickelt sich aus vielen Traditionen und versteht es vorzüglich, in freier Tonalität klangsinnlich auf textliche Emotionen zu reagieren und diese in einem für viele verständlichen musikalischen Konnex zu intensivieren. Die Wahnsinnsszene am Ende des 5. Bildes sucht im zeitgenössischen Opernschaffen ihresgleichen: Jede Sängerin wäre froh, eine zwar höllisch schwierige, aber in allen Abschnitten perfekt realisierbare Partie singen zu dürfen. Diana Damrau hatte das Glück, dass diese Musik ihr auf den Leib geschrieben wurde und brilliert als Moll. Ebenso packend im Spiel und sängerisch beeindruckend Tara Erraught als Kitty und Marie McLaughlin als Mother Needham. Die Herren – Nathan Gunn und Chistopher Gillett – blieben etwas zurück. Der finnische Dirigent Mikko Franck hat mit den Wiener Symphonikern beste Arbeit geleistet.

Musiktheater: „A Harlot’s Progress“, Oper von Iain Bell, Theater an der Wien 13.10.

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