Der Eigensinn des Alten
Adalbert Stifter hatte es in seinen letzten 15 Lebensjahren nicht leicht. Das anfangs mit Enthusiasmus angetretene Amt eines Landesschulinspektors bereitete ihm mehr Verdruss als Freude, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich, und seine späten literarischen Werke fanden nur wenig Anerkennung.
Die Romane „Der Nachsommer“ und „Witiko“ wichen allzu radikal von den Erwartungen ab.
Der Blick auf Stifters Spätwerk hat sich grundlegend verändert. Friedrich Nietzsche war einer der Ersten, die den „Nachsommer“ als außergewöhnliches Kunstwerk würdigten, Thomas Mann erkannte das Eigentümliche an Stifters Prosa, und heute untersuchen Literaturwissenschaftler das Spätwerk unter dem Aspekt einer eigenwilligen, unauffällig radikalen Modernität. Der Verlag „Jung und Jung“ leistet zur Rezeption des späten Stifter einen begrüßenswerten Beitrag. In den sorgfältig gestalteten Stifter-Band „Nachkommenschaften. Späte Erzählungen“ hat Herausgeber Karl Wagner nicht nur die Erzählungen „Nachkommenschaften“, „Der Waldbrunnen“, „Der Kuss von Sentze“ und „Der fromme Spruch“ aufgenommen, sondern auch die großartige Natur- und Seelenstudie „Aus dem bayrischen Walde“, Stifters „Winterbriefe aus Kirchschlag“ und den autobiografischen Essay „Mein Leben“.
Das Buch ist allen zu empfehlen, die sich nicht nur für den biedermeierlichen Modeautor der vierziger Jahre interessieren, für erfolgreiche Erzählungen wie „Bergkristall“ oder „Brigitta“, sondern die auch den schwierigen, künstlerisch eigensinnigen und manchmal auch absurd-witzigen Alten genauer kennenlernen möchten. Das kluge Nachwort des Herausgebers erleichtert den Zugang.
Das Buch: Adalbert Stifter: „Nachkommenschaften. Späte Erzählungen“, Jung und Jung, 360 Seiten, 24 Euro. OÖN-Bewertung: Sechs von sechs Sternen
Jetzt fällt es mir endlich auch wie Schuppen aus den Haaren. Bei so vielen, so vielen renommierten Empfehlungen muss es ja gut sein.