Zuerst blieb der Strom und am Ende die Luft weg
Markus Poschner hat Bruckners Achte neu erfunden und mit dem Bruckner Orchester ein atemberaubendes Konzert abgeliefert
Ein Mann steht mit ausgebreiteten Armen auf dem Mount Everest. Er ist nicht alleine dort. Hinter ihm steht eine Hundertschaft an Musikern, vor ihm eine veritable Menschenmenge. Diese Menschen klatschen, die rufen Bravo, sie sind dankbar, dass der Mann sie ganz nach oben mitgenommen hat. Der Mann hat eine ganz neue Route ausgewählt, er hat volles Risiko genommen, aber jetzt ist er da. Erschöpft, dankbar und frohen Mutes.
Der Mann heißt Markus Poschner, die Seilschaft hinter ihm ist das Bruckner Orchester und der lange Tross der Gefolgschaft das Publikum in der ausverkauften Stiftsbasilika von St. Florian. Gelungen ist der musikalische Gipfelsieg am Donnerstag mit der Achten Sinfonie Anton Bruckners, die vielfach als Mount Everest der Sinfonien des 19. Jahrhunderts bezeichnet wird.
Mit Markus Poschner hat das Bruckner Orchester seit etwa einem Monat einen neuen Chefdirigenten, und der versprach, dem Orchester dessen Namen zu implantieren. Die DNA, der Nimbus der Unverwechselbarkeit Bruckners müsse dem Klangkörper anhaften. Poschner traute sich auch öffentlich, Bruckner infrage zu stellen, forderte sogar ein Neudenken von Werk und Künstler. Übertriebener Pathos ist ihm unangenehm, deshalb wird ihm das eingangs gezeichnete Bild einer Everest-Besteigung ein wenig zuwider sein.
Markus Poschner hat Bruckners Achte an diesem Abend neu erfunden, er hat sie entwagnert, ihr unnötige Wucht genommen, ihr die Patina abgearbeitet, sie beschleunigt, oberösterreichisch gemacht. Neu aufgesetzt, 2.0.
Selbstredendes Dirigat
Sein Orchester hat der Chefdirigent freundlich mitgenommen, es von seinen Visionen überzeugt und – wenn wir beim DNA-Vergleich bleiben wollen – keine Genmanipulation mit möglichen fatalen Folgen durchgeführt.
Poschner dirigiert anschaulich. Sein Gestus treibt das Orchester an, es ist ein wilder Ritt durch Stimmungen. Er holt die Töne von unten heraus, lässt sie bei den bedrohlichen Passagen über seine Köpfe hin- und herwogen, er "knipst" die Geigen an und bremst sie ab – von 100 auf fast 0. Und der "letzte Rest" der Streicher ist kaum hörbar und dennoch vital. Dieses Dirigat ist selbstredend.
Poschner und das Bruckner Orchester sind sich in wenigen Wochen sehr nahe gekommen. Nach dem ersten Applaus gibt er auch lange seinen Musikern die Bühne, schüttelt Hände, wirft seinen Musikern eine Kusshand zu. Irgendwann später verneigt er sich dann, als wolle er suggerieren: Ich bin nicht so wichtig.
Ein hör- und sichtbar faszinierendes, ein atemberaubendes Konzert. Eine Sternstunde, die mit einem Stromausfall just vor dem Auftritt Poschners begann. Ob es Bruckners berechtigte Vorfreude war, ist nicht überliefert.
Brucknerfest: Anton Bruckner 8. Sinfonie, Bruckner Orchester, Stiftsbasilika St. Florian, 5. Oktober
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