Zitate aus der Festrede von Elfriede Hammerl: Kevin ist eine Diagnose
Wen sehen wir vor uns, wenn wir an Kevin denken? Vorsichtig formuliert: kein Kind akademisch gebildeter Eltern. Eher das Gegenteil: bildungsfernes Elternhaus, genauer gesagt: ziemlich sicher kein -haus, vielleicht auch nicht Eltern-, sondern nur Mutter- ...
Wen sehen wir vor uns, wenn wir an Kevin denken? Vorsichtig formuliert: kein Kind akademisch gebildeter Eltern. Eher das Gegenteil: bildungsfernes Elternhaus, genauer gesagt: ziemlich sicher kein -haus, vielleicht auch nicht Eltern-, sondern nur Mutter- ... ständige Geldnot, beengtes Wohnen, Stadtrandsiedlung im Nirgendwo, Junkfood statt selbst gerupftem Biohuhn, TV-Schrott ja, Klavierstunden nein, keine Unterstützung bei den Schulaufgaben.
Wir sind eine Gesellschaft der Ungleichen. Was an sozialer Durchlässigkeit im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte erzwungen und errungen wurde, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Klassen und Schichten deutlich voneinander abgegrenzt sind und dass die Zäune um die Reviere der oberen Kasten denjenigen, die sie überklettern, bildlich gesprochen zumindest ein paar Löcher ins Gewand reißen, an denen sie auch später noch identifiziert werden können.
Also: Was machen wir mit Kevin? Wie erlebt er Glückseligkeit? Vielleicht so wie Sie, wenn er lernt, wie das geht. Was denn? Sollen alle Bruckner hören? Ja. Kevin sollte Bruckner hören. Kevin und Jacqueline und Kemal und Ayse. Nicht, um aufzusteigen, sondern selbstverständlich, in einer Welt, die ihnen den gleichen Zugang zur Glückseligkeit zugesteht wie allen anderen. Das wünsche ich mir. Und Kevin und Jacqueline. Und Kemal und Ayse. Und uns allen.