Wer er selbst ist, ist schön

Von Karin Schütze   09.November 2018

Wie ihn eine gescheiterte Tanzprüfung zum Profi machte, verrät Stasa Zurovac im Café des Linzer Musiktheaters.

Wie geht es Ihnen in Linz, haben Sie sich schon eingelebt?

Stasa Zurovac: Ich habe in der Nähe ein Appartement gefunden. Für mich war es wichtig, mir so schnell wie möglich eine Basis zu schaffen, um genug Energie für den Beruf zu haben. Ich hatte keine längere Eingewöhnungszeit, ich bin angekommen und habe zu arbeiten begonnen. Das Linzer Musiktheater ist ein sehr hochklassiges Theater, sehr gut organisiert. Diese Position ist eine neue Herausforderung für mich. Deswegen bin ich nach Linz gekommen. Es ist für mich der richtige Ort zur richtigen Zeit, um meine Erfahrungen einzubringen.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe hier beschreiben?

Meine Rolle ist eine sehr verständnisvolle, eine Art Mutterrolle. Man gibt den Tänzern das Gefühl, ihnen bedingungslos zu vergeben – sie machen Fehler, aber sie haben immer eine zweite Chance. Jeder hat seine Freiheit, aber jeder muss wissen, wie er sie nützen kann. Viele Tänzer verstehen eine Idee als Zielpunkt. Dabei steht sie am Anfang.

Das klingt nach sehr viel Arbeit…

Was auch immer wir tun, wir tun es, um menschlicher zu werden und miteinander zu kommunizieren, um Verständnis und ein Bewusstsein füreinander zu schaffen. Wir interpretieren vierhundert Jahre alte Stücke – aber aus heutiger Sicht, um ihre Bedeutung zu verstehen und sie auf unser Leben anzuwenden. Meine Arbeit verlangt viel Weitblick und ist sehr intensiv. Normale Menschen suchen die Komfortzone. Wir Künstler verbinden uns mit dem, was jenseits davon liegt. Wir fühlen uns manchmal wie Helden, manchmal wie ein Niemand.

Was war Ihr erster Eindruck des Ensembles?

Das war Liebe auf den ersten Blick mit jedem einzelnen. Die Mischung verschiedener Persönlichkeiten, die Mei Hong Lin ausgewählt hat, ist wunderbar für ihre Art, zu arbeiten. Die Individualität jedes einzelnen wird respektiert. Jeder darf er selbst sein. Das ist die Voraussetzung, um gut sein zu können. Wenn ein Mensch wirklich er selbst ist, ist jeder einzigartig und schön. Trotzdem ist es harte Arbeit. Was das Publikum sieht, ist die Leichtigkeit auf der Bühne, nicht die Mühsal hinter den Kulissen. In der Kunst ist es manchmal wie bei einem Kind: Man sieht nicht, wie es wächst.

Sie waren selbst 13 Jahre Solist am Nationaltheater in Zagreb. Wie sind Sie zum Tanz gekommen?

Mein Vater wollte, dass ich turne. Aber ich war zu groß, also bin ich in die Ballettschule gekommen. Kroatien ist ein konservatives Land, in dem man Buben zum Fußball, aber nicht zum Ballett schickt. Ich war der einzige Bub, mit 30 Mädchen. Nach vier Jahren bin ich nicht mehr hingegangen. Als mein Vater dahintergekommen ist, hat er mir eine Ohrfeige gegeben – die einzige, die ich je von ihm bekommen habe. Also bin ich wieder zum Ballett gegangen. Aber bei der Abschlussprüfung bin ich durchgefallen. Da habe ich meinen Vater spontan angelogen und ihm gesagt, ich hätte eine Eins. Dass im folgenden Jahr eine eigene Klasse für Buben eingerichtet werden sollte, war mein Glück: Der Direktor gab mir noch eine Chance. Das habe ich als schicksalshafte Fügung empfunden. Ich habe als bester Schüler abgeschlossen.

Sie waren an der legendären Vaganova School in St. Petersburg.
Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Ich war 18, voller Saft und Kraft, und hatte mich frisch in meine erste Frau verliebt. Da hat der Krieg in Kroatien begonnen, Flug- und Telefonverbindungen wurden gekappt. Zum ersten Mal war ich 1000 Kilometer weit weg. Das Level der Schule ist sehr hoch. Einer von 1000 wird ausgewählt. Für mich war es sehr schwer, so viel auf so hohem Niveau zu bewältigen. Aber ich habe nie wieder in meinem Leben so viele Vorstellungen gesehen. Meine Augen haben viel mitgenommen, mehr als mein Körper in diesen beiden Jahren konnte. Es war für mich mehr eine Lebens- als eine Ballettschule.

Sie sind auch Schriftsteller. Was schreiben Sie?

Ich habe ein Stück für Kinder und einige Adaptionen geschrieben. Ich liebe Literatur, sie war der Anfang für meine Choreografien und hat mir andere Blickwinkel eröffnet. Tanz ist wie keine andere Sparte verbunden mit anderen Kunstformen. Musik, Skulptur, Malerei, Choreografie, Mathematik – Tanz ist einfach alles. Aber es ist ein kurzes Leben, und man muss seinen Weg finden. Man sagt: Es dauert zehn Jahre, einen Tänzer auszubilden. Nach fünf weiteren Jahren ist die Karriere mitunter vorbei. Es ist nicht leicht, damit umzugehen. Doch man kann seine tänzerischen Erfahrungen nutzen. Es ist mir wichtig, diese Hoffnung früh genug bei den Tänzern zu wecken.

HINTERGRUND UND TERMINE

Leben: Stasa Zurovac (45) wurde in Zagreb geboren, wo er seine Ballettausbildung erhielt. Er war 13 Jahre Solotänzer am dortigen Nationaltheater. Seit 2006 arbeitet er als freier Choreograf und Autor für die Staatsoper in Ljubljana viele Nationaltheater, u. a. in Belgrad, Split, Novi Sad, Maribor und Darmstadt. Seit Herbst ist er Ballettmeister am Landestheater Linz.

Neue Formate
„Open Class“:
Ballettmeister Stasa Zurovac und das Ensemble TanzLin.z mit Direktorin
Mei Hong Lin (li. mit Stasa Zurovac) laden zum offenen Training ins Musiktheater.
1. 12., 15-16 Uhr. Karten: 9 Euro (sportliche Kleidung, Socken!)

„Talk“: Gespräche mit Beteiligten laden direkt nach der Vorstellung in die Musiktheaterwerkstatt,
am 16. 12., zu „Macbeth“.

„TanzLin.z – Insight“: Einblicke in fortgeschrittene Proben aktueller Stücke.
Nächster Termin: 1. 3. , 19 Uhr zu „Marie Antoinette“

„Kostprobe“: Tanzdramaturgin Katharina John stellt in einer Probe Ideen und Akteure vor,
20. 3., 19 Uhr, zu „Marie Antoinette“.

„Move“: Dreitägige Workshops mit Profis münden in eine Abschlusspräsentation:
31.1.-3.2., 17-19 Uhr oder 19-21 Uhr.

„Yoga Meets Dance“: Workshop mit dem indischen Choreografen Ashley Lobo, dessen Stück „Yama“ am
25. 5. in Linz uraufgeführt wird, 12. und 19. 5., 18-20.30 Uhr.

Alle Infos, Termine und Karten: 0732/ 76 11-400, www.landestheater-linz.at