Wenn es im Turnsaal zu spuken beginnt

Von Michael Wruss   17.April 2018

Manchmal gelingt es, wenn man ein Stück auf den Kopf stellt, es in ganz andere Welten versetzt und – wie am Sonntag im Theater an der Wien zu erleben – doch die Botschaft fein herausmeißelt, die in diesem Fall in Benjamin Brittens Oper "A Midsummer Night’s Dream" steckt.

Regisseur Damiano Michieletto stellt sich die Frage, wo denn heute junge Liebe stattfindet, wo ungestüme Leidenschaft auf exaltierte Teenagerfantasien stößt, wo Freund- und Feindschaft genauso eng beieinanderliegen wie Sympathie und Antipathie. Und schon finden wir uns im Turnsaal einer öffentlichen Schule wieder, in dem Lysander und Hermia liebestrunken abtauchen wollen.

Traum und Wahrheit

Alle Elfen und Feen tragen hübsche Schuluniformen und erleben dennoch eine besondere Nacht. Denn einer ist anders – Puck. Er wird im Lauf des Stücks erfahren, wer Oberon und Tytania tatsächlich sind – nämlich seine Eltern, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Als einziger Überlebender protestiert er gar nicht so still und eckt überall an. In seiner Fantasie durchlebt er sein Schicksal und wird durch die Aufführung des hier ebenfalls von wahren "Musterschülern" inszenierten Dramas von Pyramus und Thisbe wachgerüttelt. Traum und Wahrheit, Leben und Tod liegen hier nahe beieinander.

Paolo Fantin (Bühne) lässt es in seinem Turnsaal ganz schön spuken, und Klaus Bruns erfand dazu die passenden Kostüme, die aus einer Shakespeare-Oper ein High-School-Musical machen, ohne aber den Tiefgang des Ersteren zu konterkarieren. Am Pult stand Antonello Manacorda, der mit den Wiener Symphonikern den Klangreichtum in Brittens Partitur fein ziseliert offenlegte und die der Handlung angepassten plötzlichen Wechsel der musikalischen Welten präzise umsetzte.

Ein großes Lob auch für die St. Florianer Sängerknaben und deren Solisten Moritz Strutzenberger, Johannes Zehetner, Fabian Winkelmaier und Christian Ziemski, die die heiklen Chorpartien mustergültig gemeistert haben (Leitung Franz Farnberger). Aus dem perfekt gecasteten Ensemble stach Bejun Mehta als Oberon genauso heraus wie Daniela Fally als Tytania. Beiden gelang es schauspielerisch zwischen Traumwelt und Realität zu pendeln, stimmlich zu begeistern und in ihrer Interpretation zu überzeugen.

Maresi Riegner war ein idealer Puck, der sich erst allmählich aus seinem traumatischen Schicksal befreien kann. Eine ganz andere, aber restlos überzeugende Zugangsweise, die diesem fantastischen Werk eine neue Facette abgewinnen konnte und als 100. Produktion dem dritten Opernhaus in Wien alle Ehre bereitete.

Theater an der Wien: "A Midsummer Night’s Dream", Oper von Benjamin Britten, 15. 4.

OÖN Bewertung: