Teuerstes Kunstwerk der Welt um 75,3 Millionen Euro versteigert

Von Von Irene Gunnesch   05.Februar 2010

Als hätte Giacometti den langen Schatten eines mageren Spaziergängers fixiert: schwarzgrau, langgliedrig, schrumpelig, dürr, mehr als zwei Meter groß, auf das Allernotwendigste reduziert. So präsentiert sich „L’Homme qui marche I“, also der marschierende, der gehende, der schreitende Mann – seit Mittwoch das teuerste jemals bei einer Auktion versteigerte Kunstwerk der Welt.

Mit den bei Sotheby’s erzielten, exakt 65,001,250 Pfund, also 75,3 Millionen Euro, liegt es rund fünfmal höher als erwartet. Höher auch als der bisherige Kunstauktions-Weltrekordhalter: Pablo Picassos Ölgemälde „Junge mit Pfeife“ wurde im Jahr 2004 in New York um rund 75,2 Millionen Euro versteigert.

Um den Giacometti, der einen Schätzpreis von bis zu 20,5 Millionen Euro hatte, hatten sich am Mittwochabend mehrere Bieter ein hartes Gefecht geliefert: Nach nur acht Minuten war der hohe Preis erreicht. Die 1961 geschaffene Plastik ging an einen anonymen Telefonbieter. Nähere Angaben dazu wollte eine Sprecherin von Sotheby’s nicht machen. Daraus lässt sich schließen, dass das Werk nicht an eine öffentliche Sammlung ging (wo der Besitz der Skulptur in Folge ohnehin bekannt geworden wäre), sondern an eine Privatperson. Der „Schreitende Mann“ ist jedenfalls eines der wichtigsten Werke Giacomettis, der mit seinen extrem dünnen Plastiken weltberühmt geworden ist.

Dem aus Graubünden stammenden Bildhauer war die Kunst „in die Wiege gelegt“ worden. Schließlich zählte seine Familie – der Maler, Bildhauer ebenso wie Architekten und Dramatiker angehörten – zu Europas wesentlichsten Künstlerdynastien der jüngeren Vergangenheit. Sein Vater war der bekannte Impressionist Giovanni Giacometti, und der erkannte naturgemäß sehr früh die Begabung des jungen Alberto und förderte sie dementsprechend. Nach seiner Ausbildung und einem kurzen Surrealismus-„Gastspiel“ entwickelte Alberto Giacometti – der neben seiner Muttersprache Italienisch auch Deutsch, Französisch und Englisch sprach – sehr bald seinen unverwechselbaren Stil.

Werkte in Mini-Atelier

Sein ungeheures Lebenswerk hat er in seinem Kleinst-Atelier in der Pariser Rue Hippolyte Maindron 46 geschaffen, das er 1927 bezogen und auch nie aufgegeben hat. Es gab dort bis 1945 keine Elektrizität, nur ein kleiner Kanonenofen spendete Wärme.

Aus dieser winzigen und kargen Keimzelle heraus hat der manische Kunst-Arbeiter den Spagat in die internationale Anerkennung geschafft. In einem Auf und Ab der Erfolge, auch der emotionalen Bindungen, durch die sich der Hang zu Prostituierten als rotes Band zog. Exzessiver Kaffee- und Zigarettenkonsum forderten ihren Tribut: 1966 hustete sich Giacometti in einen Herzinfarkt, den er nicht überlebte.

Seine Kunst schaffte nun gar den aktuellen Auktions-Weltrekord. Was jedoch relativ ist. Denn diesem Erlös stehen weit höhere Preise bei Privatverkäufen gegenüber. So erzielte 2006 etwa ein Gemälde von Jackson Pollock im freien Verkauf 100,1 Millionen Euro. Nun denn: Die Kunst soll ja angeblich das wert sein, was jemand dafür zu zahlen bereit ist ...