Starautor Josef Winkler über Karl May, Politik und Kino

Von Von Peter Grubmüller   12.Februar 2010

OÖN: Sie haben Ihre Lesekarriere mit Büchern von Karl May begonnen. Können Sie Karl May als Einstieg empfehlen?

Winkler: Zuletzt hab’ ich mich wieder mit Karl May beschäftigt, weil ich den Stoff für einige Texte gebraucht habe. Ich wäre froh, wenn die Jugend wieder so etwas lesen würde, verglichen damit, was sie sonst liest oder gar nicht liest und nur in diese elektrischen Kübel reinschaut. Karl May ist nicht so schlecht. Als ich 10, 12 Jahre alt war, sind die Karl-May-Filme in unsere Kinos gekommen. Sonst hätte ich Karl May gar nicht entdeckt. Es waren also zuerst die Filme, dann die Bücher. In meinem Dorf hat es ja kein einziges richtiges Buch gegeben, nicht einmal eine Bibel, nur Gebetsbücher.

OÖN: Ihre Texte sind voll mit prächtigen Bildern. Hat die frühe Bekanntschaft mit Filmen Ihr Schreiben beeinflusst?

Winkler: Ich war schon als Kind ein Bildermensch, und auf den mehreren tausend Seiten meiner 14 bisher erschienenen Bücher gibt es nur wenige Sätze, die nicht aus einem Bild bestehen. Es gibt kaum Kommentare und keine theoretischen Ausflüge, weil ich das gar nicht kann. Wenn ich das Blatt Papier nicht senkrecht, sondern waagrecht lege, habe ich auch eine Filmleinwand vor Augen. Als Kind hat es mich begeistert, wie auf einer weißen Leinwand Bilder entstehen. Als ich in die Handelsschule nach Villach gekommen bin, war ich vom Kino fanatisiert. Ich hab’ diese Sucht nach Bildern. Meine beim Schreiben produzierten Bilder sind jetzt organisierter und disziplinierter, ich schaue auf das Handwerkliche, auf Klang und auf Rhythmus. In den ersten Büchern ist das wie bei einem Vulkan dahergekommen, der alles Mögliche ausgeschüttet hat. Manchmal denk’ ich mir trotzdem, dass in den frühen Büchern Bilder und Metaphern sind, die ich heute nicht mehr zustande bringe.

OÖN: Manche Eltern versuchen, die eigene Kindheit vor ihren Kindern zu verbergen. Im Film „Kinoleinwandgeher“, der Sie und Ihr leidvolles Aufwachsen porträtiert, werden Sie als Kind von Ihrem Sohn gespielt. War das Ihre Idee?

Winkler: Ich wollte bei diesem Film keinen Tanz ums goldene Kalb, und ich wollte, dass meine Familie dabei ist. Es werden einige Szenen aus meinen Büchern nachgespielt, deshalb hat es sich spontan entwickelt, dass mein Sohn mich als 11-Jährigen spielt. Ich hab’ ihn gefragt, er hat zugesagt, obwohl schon Phasen gekommen sind, in denen er nicht wollte, dass der Film gezeigt wird. Zu anderen Anlässen wurde er vom Gegenteil überzeugt, etwa im Open-Air-Kino in Klagenfurt, wo 700 Leute da waren, oder während der Viennale, da hab’ ich gemerkt, wie stolz er war.

OÖN: Veränderte das Eintauchen Ihres Sohnes in Ihre Kindheit Ihre Beziehung zueinander?

Winkler: Das glaube ich nicht. Er kennt das schon von meinen Reden, in denen ich manchmal halblustig darüber spreche. Was so im Verborgenen in ihm schlummert, weiß keiner. Ich werd’ noch einige auf den Deckel kriegen, das macht aber nichts. Solange meine Fehler nicht gravierender werden, wird sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen halten.

OÖN: Sie haben Ihren Vater bestohlen, um sich Bücher kaufen zu können. Würden Sie einen Diebstahl Ihres Sohnes akzeptieren, sofern er sich mit der Beute einen innigen Wunsch erfüllt?

Winkler: Ich hab’ ihn schon aufgeklärt, wie die Gesellschaft auf so etwas reagiert. In unserem Leben ist es so eingerichtet, dass Verbrecher der Republik die Gurgel umdrehen können, und den Schokoladefladerern laufen sie nach. Ich werd’ auch dieses Grab von dem Supermarkt-Einbrecher in Krems noch aufsuchen, wo der Bursch liegt, der nicht einmal seine zwei Plastiksackerl mit Genussmitteln füllen konnte, ehe sie ihn von hinten erschossen haben. Mein Sohn hat vor einem halben Jahr in einem Supermarkt Schokolade gestohlen, da haben sie gleich die Polizei geholt. Ich hab’ zu ihm gesagt: „Ich bin stolz auf dich, dass du das geschafft hast, aber du siehst, wozu das führt. Du darfst das nie wieder tun. Du kommst schon zu deiner Schokolade, du kannst von mir Geld haben.“ Abgestraft hab’ ich ihn nicht, das hat keinen Sinn.

OÖN: In Ihrer Klagenfurter Rede zum Bachmann-Preis 2009 kritisierten Sie die Kärntner Landespolitik scharf, gab es politische Reaktionen darauf?

Winkler: Überhaupt keine, diejenigen, die angesprochen waren, haben nicht reagiert. Ich habe keinen bösen Anruf bekommen und keine Drohbriefe von Politikern. Wenn ich heute durch Klagenfurt gehe, grüßen mich 500 mir unbekannte Leute oder sprechen mich auf die Rede an. Es sind nicht nur Künstler oder Intellektuelle, sondern Menschen aus allen Schichten. Überall dürfte die Rede angekommen sein, nur nicht in der Politik. Diese Kärntner Landesregierung ist eine politische Katastrophe, ich hab’ sie auch politische Banditen genannt. Sie reagieren nicht, sie sagen wahrscheinlich: „Der Depperte, was der alles redet!“ Dieses ehemalige BZÖ hat im Landtag die absolute Mehrheit, und wenn nicht mindestens 5000 Leute auf die Straße gehen, wird es so weitergehen. Wer weiß, was die noch alles anstellen werden.

OÖN: Abgesehen vom Preisgeld, hat sich der Büchner-Preis für Sie als Belohnung oder als Bürde herausgestellt?

Winkler: Dieser Preis ist das Luxuriöseste, was einem deutschsprachigen Schriftsteller passieren kann. Er wird in ganz Europa wahrgenommen und im deutschsprachigen Raum in jeder kleinsten Zeitung groß gewürdigt. Es ist luxuriös, aber anstrengend. 2009 musste ich mehr Lesungen machen, als ich verkrafte. Es gibt genug Autorinnen und Autoren, die so gut oder noch besser schreiben als ich, aber sie erleben dieses Glück eines Büchner-Preises nie, deshalb weiß ich die Auszeichnung schon zu schätzen.

OÖN: Bei Ihrer Schreibtischarbeit verwenden Sie das Meisterstück von Montblanc. Warum ausgerechnet die luxuriöseste Version einer Füllfeder?

Winkler: Ich war vor etwa zehn Jahren in Berlin, ich hatte dort eine Lesung. Da bin ich bei einer Auslage vorbeispaziert, hab’ diese schöne Füllfeder gesehen, hab’ sie ausprobiert und gespürt, was das für ein schönes Schreiben ist, wie gut diese Feder in der Hand liegt. Ich verwende sie aber nur am Schreibtisch, weil ich Angst habe, dass ich sie verliere. Und wenn man so etwas verliert, kauft man es kein zweites Mal. Mit meiner Pelikan-Füllfeder gehe ich herum. Wenn ich in Mexiko, Indien oder wie zuletzt in Venedig bin, ist sie dabei, ich hab’ dann auch ein Tintenfass bei mir – oder ich füll’ die Feder in der Früh auf, dann komm’ ich einen Tag lang aus. In Indien hatte ich das Fass trotzdem immer bei mir, weil ich dachte, dass es ganz furchtbar sein würde, wenn ich nichts mehr aufschreiben könnte.

OÖN: Archivieren Sie all Ihre Notizen?

Winkler: Im Klagenfurter Musil-Haus sind 20.000 maschinengeschriebene Seiten eingelagert. Ich hab’ noch etwa 70 handgeschriebene Notizbücher, so um die 7000 Seiten – ich hab’ alles archiviert, nichts weggeworfen. 1979, als mein erstes Buch erschienen ist, hat ein Journalist zu mir gesagt: „Passen S’ auf Ihre Manuskripte auf, die sind einmal Ihr Familiensilber.“ So hab’ ich es gehalten.

OÖN: Überall ist zu lesen, Sie seien beim Schreiben ein Getriebener. Schmeichelt Ihnen das?

Winkler: Ich weiß das nicht, weil ich Texte über mich nicht so gierig nachlese. Aber was ist ein Getriebener? Die schönste Zeit ist, wenn es mir gelingt, zu schreiben. Das Schwierigste und Schlimmste ist, wenn nichts passiert. Dann denk’ ich darüber nach, was ich eigentlich tue, warum ich existiere. Nun, wenn man Kinder hat, weiß man irgendwann, warum man existiert.