ORF III? „Wir sind arm, aber sexy“

Von Peter Grubmüller   15.März 2012

OÖNachrichten: Für Sie muss der neue Kultursender ORF III ein Wunschkonzert sein.

Rett: Ja, aber es war eine völlig unerwartete Wunscherfüllung. Hätten Sie mir vor zwei Jahren gesagt, es würde einen ORF-Kultursender geben, Sie hätten viel Geld gewonnen, wenn wir gewettet hätten.

OÖNachrichten: Ist der Sender finanziell ausreichend ausgestattet?

Rett: Wir sind wie Berlin – arm, aber sexy.

OÖNachrichten: Was bewerten Sie als Stärken und Schwächen von ORF III?

Rett: Die Stärke ist unsere Leidenschaft. Wir alle sind im guten Sinne Getriebene, jeder arbeitet bis an seine Grenzen, und dabei wird viel Kreativität frei. Ich war im Burgtheater, hab’ die Produktion der Jungen Burg gesehen und war so begeistert, dass wir es noch geschafft haben, die vorletzte Vorstellung aufzuzeichnen. Es geht alles nur mit Win-Win-Abmachungen, weil wir überhaupt kein Geld haben. Aber natürlich passieren uns auch blöde, kleine Fehler.

OÖNachrichten: Was war so ein Fehler?

Rett: Es war eine Opernpromotion, und statt des bildschönen Ildebrando D’Arcangelo war ein anderer im Bild – so etwas ärgert mich. Entscheidend ist aber, dass man diese Triebkraft bewahrt, dass man es immer noch besser machen will.

OÖNachrichten: Sie hätten es sich ja auch gemütlich einrichten können. Sie waren Direktorin der Volkshochschule Hietzing. Was hat Sie veranlasst, dieses vermeintlich sichere Nest zu verlassen und Ihren Kopf beim ORF hinzuhalten?

Rett: Ich war auch in der Volkshochschule nicht gemütlich, ich war nie gemütlich. Es klingt blöd, aber ich folge bei solchen Entscheidungen immer meinem Herzen. Die Volkshochschule war toll, wir waren ein Unruheherd und sehr feministisch. Irgendwann hatte ich das Gefühl, das kann ich jetzt. Dann bin ich gegangen. So mache ich es immer.

OÖNachrichten: Warum haben Sie sich einen Bauernhof, noch dazu einen denkmalgeschützten, im Mühlviertel gekauft?

Rett: Der war damals gar nicht unter Denkmalschutz, ich hab’ ihn freiwillig unter Denkmalschutz stellen lassen. Jeder kapitalistisch denkende Mensch würde sagen: Du bist blöd, du wirst das Haus nie umbauen können, du wirst nicht einmal eine Satellitenschüssel auf das Haus schrauben dürfen. Freunde hatten mir von diesem Haus erzählt. Alle meine Ersparnisse hab’ ich zusammengekratzt und Geld ausgeborgt. Als ich dort war, sah alles grau aus, es hat geregnet, Matsch, Schleim, Schlatz. Ich hab’ die Bäuerin ersucht, mir bitte ein Bett zu machen, wenn ich dort zum ersten Mal übernachte – und ich war zu müde, um es gleich zu bemerken, dass sie mir einen Strohsack hergerichtet hat. Das war sehr schön. Man kann sich das kaum vorstellen: Diese alte Bäuerin, die ihr ganzes Leben schwer gearbeitet hat – in ihrem Haus bin ich dann gesessen und hab’ selbst schwer gearbeitet. Sie hat mir später Postkarten geschickt: „Liebe Barbara, Grüße aus Rom, es ist wunderbar.“ „Liebe Barbara, Paris würde dir gefallen.“ Und ich bin im Mühlviertel gesessen und hab’ geschuftet. Ich glaube immer an Liebe auf den ersten Blick – so war es auch bei diesem Haus.

OÖNachrichten: Wie kam es dazu, dass Sie die Sendung „KulturWerk“ in der Linzer Stahlwelt produzieren?

Rett: Peter Schöber (ORF-III-Verantwortlicher, Anm.) ist mit Voest-Chef Wolfgang Eder zusammengesessen, und Herr Eder hat angeboten, in dieser tollen Umgebung etwas auf die Beine zu stellen. Da hat es beim Schöber geklingelt – so ist es passiert. Und es freut mich so sehr, dass da zum Beispiel 200 voest-Mitarbeiter sitzen und eine Kultursendung mitverfolgen. Für alle Beteiligten ist es eine Win-Win-Partnerschaft. Das ist bereichernd: Partner zum gegenseitigen Nutzen zu sein.

OÖNachrichten: Aber lebt Kultur nicht auch den Widerspruch dessen – dass etwa ohne Geld überhaupt keine Musik spielen würde? Opernstar Elina Garanca erzählte mir, dass sie unter den aktuellen Umständen des Musikmarktes ihrer Tochter nicht empfehlen könne, Musikerin zu werden.

Rett: Ich weiß genau, wie schwer es ist. Aber ich genieße diese Qualität einer produktiven Gemeinsamkeit, gemeinsam nach Finanzierungen zu suchen, gemeinsam zu organisieren. Ich sehe das zum Beispiel bei der Jungen Burg. Die haben überhaupt kein Geld, und trotzdem ist es gelungen, in der „Bonnie und Clyde“-Produktion die tollste Autoverfolgungsjagd zustande zu bringen, die ich je auf einer Bühne gesehen habe. Fantasie ist die stärkste Kraft, viel stärker als Geld.

Barbara Rett

Ausbildung: Sie kam 1953 in Wien zur Welt, studierte Germanistik (Dissertation 1978 an der Uni Innsbruck: „Johann Nestroy und die Bürgerliche Revolution“) und Romanistik.

Werdegang: Während ihrer Schulzeit arbeitete sie bei der ORF-Radiosendung „Die Musicbox“. Von 1979 bis 1986 Direktorin der Volkshochschule Hietzing. 1988 Rückkehr zum ORF. Ab 1995 moderierte sie „ZiBKultur“. Im Oktober 2011 wurde sie Aushängeschild des Kultursenders ORF III.