Musikalische Diamanten aus dem Archiv
Raritäten und Wohlbekanntes der Wiener Musik – großartig gespielt beim Neujahrskonzert.
Wie schon bei den ersten beiden Malen bewies Mariss Jansons beim gestrigen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker nicht nur seine große Affinität und Liebe zu dieser Musik, sondern auch sein besonderes Gespür für die Programmwahl, die einige unentdeckte musikalische Diamanten dem Archivschlaf entrissen hat. Darunter nicht nur Werke der Strauss-Dynastie.
So kam einer der vielbeschäftigten Komponisten der klassischen österreichischen Unterhaltungsmusik erstmals beim Neujahrskonzert zu Wort, nämlich Robert Stolz mit seinem Uno-Marsch. Auch erstmals im Programm der sogenannte "französische Strauss" Émile Waldteufel. Sein Walzer "España" op. 236 knüpft zweifelsohne an der Wiener Musik an, unterscheidet sich aber maßgeblich in der Orchestration und somit im Klang.
Raritäten, Polkas, Galoppe
Ein Gustostück war Josef Hellmesbergers "Ball-Szene", die einerseits geschickt mit dem Echoeffekt zwischen den ersten und zweiten Violinen spielt und diese beiden Gruppen ordentlich fordert und andererseits die filigran-virtuose Geläufigkeit in einen durchsichtigen und elegant klaren Satz einpasst. Fast genial.
Dieses Konzert war nicht nur mit Raritäten eine große Ausnahme, sondern auch bei der Auswahl der Tänze und Charaktere. So viele Polkas und Galoppe standen bisher selten auf den Pulten der Philharmoniker, die über den Elan und die Vitalität dieser Musik erfreut schienen. Doch es wäre nicht Mariss Jansons, wenn er nicht auch ruhige Kontrapunkte dazwischen stellen würde – solche wie Josef Strauss’ Polka mazur "Die Libelle", die zu den feinsten und klanglich ausgewogensten Stücken der Strauss-Dynastie zu zählen ist.
Dass die Wiener Philharmoniker in der Wiener Musik unschlagbar sind, versteht sich von selbst, nur haben sie sich an diesem Tag beinahe selbst übertroffen. Einerseits in der großen Disziplin und Ernsthaftigkeit, die das ganze Konzert trotz der Ausgelassenheit der Stücke prägte, sondern auch wegen der traumwandlerischen Sicherheit in stilistischen Fragen, sodass die Musik ihrem Wert gebührend und doch unendlich leicht und locker erklang und ihre Funktion der Tanzmusik repräsentierte.
Das lag auch am Dirigat und am akribisch forschenden Einsatz Mariss Jansons’, dem das Orchester zu Recht mit Applaus und das Publikum mit Standing Ovations dankte. Auch der ORF legte sich mit Regisseur Michael Beyer ins Zeug und gestaltete eine traditionelle und in vielen Details liebevoll aktualisierte Übertragung des Konzerts bzw. gelungenen Aufzeichnung der von Jirí Bubenícek lustvoll choreografierten und elegant von Emma Ryott ausgestatteten Einlagen des Staatsballetts. Erfreulich, dass man im Vorspann die Frage klärte, dass der Name der Familie mit Doppel-S zu schreiben ist – mit Ausnahme von Eduard Strauß, der ebenfalls im Programm prominent vertreten war. Ein wunderbares Konzert.
Neujahrskonzert: Wiener Philharmoniker, Wiener Musikverein
OÖN Bewertung: