Mit spielerischer Pracht in den Weltuntergang

Von Peter Grubmüller   01.August 2016

An dieser Inszenierung von Samuel Becketts "Endspiel" werden sich alle nachfolgenden messen lassen müssen. Regie-Altmeister Dieter Dorn hat im Salzburger Landestheater dem Genie des Dramatikers vertraut, er hat nichts gestrichen, keine Gefälligkeiten hinzugefügt, sondern die exzellenten Schauspieler zu purem Spiel verführt. Nicht zu einem Stück, weil es das nicht ist, sondern das endzeitliche Chaos. Auf diese Weise gelingt auch die Verführung des Publikums.

Sofern die Außenwelt nicht mehr existiert, dann reden die inneren Stimmen. Dabei kann wirres Zeug herauskommen. In "Endspiel" ist das Konzept. Aber so wirr ist das Zeug dann wieder nicht, weil jeder Satz metapherntauglich dasteht, ohne sich anzustrengen, eine Metapher zu sein.

Eine die Bühne ausfüllende Holzkiste gleitet wie von Geisterhand gezogen nach vor an die Rampe (Bühne: Jürgen Rose). Es ist der graue Mikrokosmos, in dem der an beiden Beinen ramponierte und gebückt hinkende Clov seinem Herrn Hamm dient. Der gelähmte Hamm sitzt auf einem Thron mit Röllchen – seine Augen sind ausgestochen. Die beiden leben wie aneinandergefesselt. Hamms Eltern, die ihre Beine bei einem Tandemrad-Unfall verloren haben, stehen in Mülltonnen auf ihren Stümpfen und sind Adressaten von Hamms Hass, aber auch die einzigen Zuhörer seines Endzeit-Schwadronierens. Dieser Tragik entspringt ein grotesker Witz, wie ihn die Hoffnungslosigkeit ans Licht bringt. Er zündet an diesem Abend bei jedem Aufflackern.

Jeder ist hier ein Krüppel

"Warum tötest du mich nicht?", fragt Hamm. Clov antwortet: "Ich weiß nicht, wie der Speiseschrank aufgeht." Und doch bleibt die Drohung, dass Clov verschwindet, bis zum Ende im Raum hängen. Zuvor betrachtet er noch für Hamm die Welt durch zwei mit Hilfe einer Stehleiter zu erkletternde Fensterschlitze die Welt, in der nichts mehr ist – nur Erde, Luft und Wasser. Die Küche liegt unter einer Falltür im Keller. Hamm pfeift Clov jedes Mal herauf, wenn er ihm unter anderem den dreibeinigen Stoffhund bringen soll – das Einzige, das in ihm Zärtlichkeit verursacht. Jeder ist hier ein Krüppel.

Weiter als Beckett es getan hat, kann man Theater nicht treiben. Und besser als der auf sein exzellent majestätisches Getue und auf seine singende, kehlige, donnernde Sprache zurückgeworfene Nicholas Ofczarek im Verachtungs-Liebes-Spiel mit dem ausgezeichnet aufbegehrenden Duckmäuser Michael Maertens, ist "Endspiel" nicht zu bewältigen. Joachim Bißmeier ist als Vater Nagg zum Niederknien, als er von seiner Frau Nell (Barbara Petritsch) am Rücken gekratzt werden möchte oder ihr einen Kuss abbettelt.

"Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende", sagt Clov im ersten Satz. Damit wäre alles gesagt. Aber der Schrecken, dem der Mensch anheim fällt, will sich in gut zwei pausenlosen Stunden erst zur Kunstform entfalten. Das Publikum folgt alldem mit großer Konzentration – bis sich das Glück in tosendem Applaus entlädt. So weit wie uns Beckett gesehen hat, sind wir vielleicht doch nicht – und die Holzkiste zieht sich langsam wieder zurück.

Salzburger Festspiele, Schauspiel: "Endspiel", von Samuel Beckett, Regie: Dieter Dorn, Landestheater Salzburg, Premiere: 30. 7., Termine: 1., 3., 4., 6., 7., 8. August. www.salzburgerfestspiele.at.

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