"Meine Entscheidungen mögen andere aufgeregt haben – na und?"
Crossing Europe: Die türkische Star-Regisseurin Yesim Ustaoglu über patriarchale Strukturen und Frauen, die Mut haben
Die Hälfte aller Filme des 14. Crossing Europe, das noch bis morgen in Linz läuft, haben Frauen realisiert – 80 von 160. Ein enorm hoher Anteil, der Intendantin Christine Dollhofer und ihrem Team "ohne Zwang, aus purem Interesse" gelungen ist. Diese Quote, für die sich andere Festivals quälen, wird heuer mit einer neuen Schiene bereichert: "Spotlight".
Im Scheinwerfer steht die türkische Regisseurin Yesim Ustaoglu. Wer sie nicht kennt, hat keine Bildungslücke. Vielmehr kommt ein Umstand zu tragen, der in der Türkei und in Österreich nicht anders ist als in Hollywood, wo Kathryn Bigelow vor sieben langen Jahren als erste, bisher einzige Frau einen Regie-Oscar gewonnen hat.
Populäre Filme sind Werke von Männern. "Als sich Mitte der 90er in der Türkei neues, offenes Kino etabliert hat, war ich überhaupt die einzige Frau", sagt Ustaoglu im OÖN-Gespräch. Auf die Frage, ob sie also eine mutige Frau sei, antwortet die 56-Jährige ohne falsche Demut: "In gewisser Weise: Ja!"
Ihr Mut hat sich ausgezahlt. Die international anerkannte Autorenfilmerin, die in Istanbul lebt, wurde vielfach prämiert – 2008 etwa beim renommierten Filmfest in San Sebastian für ihr Familiendrama "Pandora’s Box". Das Gefühl, auf dem Weg dahin aufgeben zu wollen, kam aber nie auf. "Ich habe immer das getan, was ich mir vorgenommen hatte. Meine Entscheidungen mögen andere aufgeregt haben. Na und?"
Für Ustaoglu sind patriarchale Strukturen nicht nur ein Problem östlicher Gesellschaften, sondern – in unterschiedlicher Form – ein weltweites. "Ich beobachte oft, wie Frauen dagegen ankämpfen. Sie sind viel tapferer und stärker, wenn sie ihren eigenen Weg gehen." Viele Männer hingegen – "in der Filmbranche oder im Alltag – sind vielmehr vom bestehenden System abhängig" und wären damit befasst, ihre Stellung darin zu sichern und zu verteidigen. Ustaoglu ist eine sehr gute Beobachterin, mit exzellentem Gespür dafür, wie Macht in Beziehungen verhandelt wird. In "Clair obscur", einem der Crossing- Europe-Eröffnungsfilme, skizziert sie etwa visuell prägnant und inhaltlich feinsinnig, wie zwei Türkinnen mit Gewalt in Beziehungen konfrontiert sind – roher wie subtiler, und in allen Stufen dazwischen. Das Leben türkischer Frauen, sagt die Regisseurin, sei nie nur schwarz oder weiß – egal, ob sie konservativ oder modern-liberal eingestellt sind. "Wir diskutieren und kämpfen für die Freiheit von Frauen und Kindern."
Die Regisseurin im Gespräch: Heute, 16 Uhr, Masterclass, 16 Uhr, OK Deck, Linz Kulturquartier
Die Männer, von denen sie spricht, sind meistens schon "oben" in einer Hierarchie und verbrauchen 80% ihrer Arbeit mit Strampeln gegen Gleichrangige und nach unten.
Die Frauen sind meistens weiter "unten" in einer Hierarchie und müssen/wollen nach oben strampeln. Sie sind allerndings noch zu 50% mit der täglichen Arbeit ausgelastet, die sie nicht delegieren können.