Lange Konzertnacht: Die Kraft der ganz normalen Musik
„Räume hören“ lautete die Aufforderung bei der langen Konzertnacht des Festivals Ars Electronica in der Tabakfabrik. Verschiedene Klanginstallationen und Konzerte wurden bei einem Rundgang durch die Räume der Fabrik geboten.
„repair – sind wir noch zu retten?“ lautet das diesjährige Festival-Motto. Ist die Musik als Kunstform noch zu retten? Das war irgendwie eine Frage, die in der Langen Konzertnacht des Festivals Ars Electronica durch den Kopf geisterte.
Diese Frage stellt sich deshalb so deutlich, weil die durch flimmernde Dauerberieselung hypersensibilisierte Gesellschaft kaum mehr Ruhe finden kann, sich Klänge in gebührender Ruhe anzuhören – man brauchte Hinweisschilder, die um „Silence“ (Ruhe) baten. Ist also Musik noch etwas, das bewusst gehört werden will, oder bereits ein Alltagsgeräusch, das wie der permanente Autolärm einfach zum Leben dazugehört?
Nun aber der Reihe nach. Zentrale „Forschungsaufgabe“ des Abends war „Experiencing Spaces“ beziehungsweise „Hear the Architecture“, also so viel wie Hörräume erforschen und der Architektur lauschen. Dieser Punkt ist meisterlich gelungen, denn für Musik so ungewöhnliche Räume wie das Magazin A oder die Lösehalle entpuppten sich als akustisch hervorragende Säle, die so manche „Location“, in der in Linz Musik gemacht wird, alt aussehen lassen. Das alleine wäre schon Anstoß genug, so manche Planungen (Musikuniversität, etc.) nochmals zu überdenken. Selbst längst eingeführte Institutionen der Zeitkultur könnten hier ein wesentlich größeres und freizügigeres Spielfeld finden. Die Tabakfabrik zu einer Linzer Kulturfabrik zu entwickeln, darum würde uns so manche Großstadt beneiden dürfen.
Schwieriger Start
Es ist nie gut, mit leiser Musik zu beginnen, vor allem dann nicht, wenn Massen bewegt werden müssen. So verpuffte Stockhausens „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“, die erste rein „technisch“ produzierte Musik (1956), im Getrampel und Gequatsche der „Nichtzuhörer“. Auch Dennis Russell Davies und Maki Namekawa hatten es nicht leicht, die Ohren für Arvo Pärts Klavierstücke für sich zu gewinnen. Viel wichtiger erschien es manchen, eher zu sehen, was passiert und nicht den Sinn für Musik einzuschalten und alles andere zu unterlassen.
Dabei musizierten die beiden Pärts feinsinnige „Pari intervallo“, „Arinuschka“-Variationen und seine „Hymn to a great City“ höchst beeindruckend. Der ebenfalls von der Konserve gespielten „Fabrica illuminata“ von Luigi Nono erging es nicht anders als den Jünglingen.
Weiter im Geburtstagsreigen für Arvo Pärt (geboren 11. September 1935) das Orchesterkonzert des Brucknerorchesters, bei dem die „Fratres“ genauso wenig fehlen durften wie „Cantus Benjamin Britteni“ und „Summa“, die wohl ersten wichtigen Beispiele für den von Pärt entwickelten „Tintinnabuli“-Stil (Klingeln der Glocken). Faszinierend auch Pärts „Klavierkonzert“ mit dem Titel „Lamentate“, das seine Technik zu einem enorm emotionalen und klanglich höchst eruptiven Ergebnis steigerte. Großartig das Brucknerorchester und Maki Namekawa am Klavier.
Fast noch faszinierender dann zwei weitere Fassungen der „Fratres“, nämlich jene für vier Celli und beinahe noch überzeugender jene für Schlagwerk – beide bestens interpretiert von Mitgliedern des Brucknerorchesters –, die vor allem im Magazin A unglaubliche Höreindrücke vermittelten.
Im Freien ging es dann mit Martin Bédards „Champs de foullis“ ziemlich laut, aber prägnant weiter, und den Schluss machte eine Klanginstallation von Rupert Huber und Franz Hautzinger.
Analoger Klang pur
Gut getan hat dieser Ars Electronica-Musiknacht, dass – bis auf die letzten beiden Programmpunkte – auf das Digitale verzichtet wurde, und dass der analoge Klang von realen Instrumenten pur ohne Visualisierung sehr wohl wirken kann.
Selbst die schwer beruhigbare Masse vom Beginn hielt bei Pärts fragilen Orchesterklängen wie verzaubert inne. Es gibt sie also noch – die Kraft der ganz normalen Musik.