Konstantin Wecker: "Poesie kann gerade jetzt Mut machen"

06.Juli 2018

Er ist 71 Jahre alt und bestimmt nie leise. Denn ein Wecker wie er wird nie aufhören, laut zu mahnen.

Liest man Ihre Interviews, geht es immer wieder um den Pazifismus, für den Sie stehen. Worin aber sehen Sie dessen Ziel? Weltweiten Frieden werden wir – blickt man zurück – wohl eher nicht schaffen.

Konstantin Wecker: Aber wenn wir keinen Frieden auf der Welt, keine Gesellschaft ohne Gewalt und Herrschaft zusammenbringen, werden wir nicht mehr lange existieren. Und damit meine ich die gesamte Menschheit. Auch die Superreichen werden sich da kein Plätzchen schaffen können, um zu überleben.

Weil?

Wir die Erde ruinieren und uns selbst, in einem eventuell einmal folgenden Atomkrieg alle Lebensgrundlagen. Für mich als Künstler ist es einfach wichtig, die Idee des Pazifismus immer weiter am Leben zu erhalten. Wir leben definitiv in einer auf Leistung ausgelegten Gesellschaft. Aber man darf nicht den Fehler machen, den Sinn nur darin zu sehen, was Erfolg bringt.

Worin liegt der Sinn dann?

Man muss sich völlig von diesem Gedanken entfernen. Sinn hat nur das, was man im tiefsten Inneren als solchen erkennt. Daran sollte man festhalten. Erich Fromm hat einmal gesagt: "Hoffnung heißt, auch dann weiter zu hoffen, selbst wenn man ganz genau weiß, dass man das, was man erreichen möchte, zu seinen Lebzeiten nicht erreichen wird." Das ist etwas Schönes, das mir sehr viel Mut gibt.

Etwas ist aber besorgniserregend: der Hass, der vielen, die sich für Menschlichkeit einsetzen, entgegenschlägt. Vor allem im Netz, aber auch allgemein ist der Ton ein sehr rauer.

Ich habe genauso Angst wie Sie zurzeit. Wenn man zum Beispiel liest, was in Europa zum Thema Flüchtlingspolitik beschlossen wird: Das ist erschreckend. Es ist so, als wäre die Menschlichkeit gar kein Thema mehr. Aber das war sie noch – in den 70ern, 80ern. Man läuft geschlossen den Dumpfbacken hinterher. Bei uns in Deutschland denen der AfD, in Österreich denen der FPÖ. Und man macht ihre Themen zu den wichtigen, anstatt die eigenen am Leben zu halten.

Welche wären das?

Der Umstand, dass wir mitverantwortlich an dem Elend sind, das es außerhalb von Europa gibt. Wir haben das mit unseren Waffengeschäften, unseren Finanzspekulationen und unserer Ausbeutung der Erde geschaffen. Und jetzt sind wir auch noch so unverschämt und versuchen die Menschen, die darunter leiden, als Menschen zweiter Klasse zu behandeln.

Diese Debatte wird leider öffentlich nicht geführt. Dafür aber in Deutschland zum Beispiel jene zur Zukunft von Bundestrainer Joachim Löw nach dem WM-Debakel fast noch emotionaler als jene über die Zukunft von CDU/CSU.

Ehrlich gesagt, bin ich heilfroh darüber, dass die ganzen Deutschland-Fähnchen verschwinden. Ich habe erst vor Kurzem die Aussage eines Nationalismusforschers gelesen. Der hat festgestellt, dass ohne das "deutsche Sommermärchen" (Fußball-WM 2006 in Deutschland, Platz 3 für die DFB-Elf, Anm.) ein Entstehen der AfD gar nicht möglich gewesen wäre.

Wie ordnen Sie die WM zwischen den Polen "Sportfest" und "Politikum" ein?

Die WM hat mit Sport fast nichts mehr zu tun. Sie ist ein Politikum, ein Geschäft. Es kann wunderschön sein, einem Verein in einer Unterliga zuzuschauen, Spaß machen, selbst zu spielen. Aber das hat mit der WM nicht mehr viel zu tun. Da werden schreckliche Dinge geschürt. Und ich bin sehr froh, dass da jetzt ein Dämpfer passiert ist. Ich weiß nicht, wo das hingeführt hätte, wenn Deutschland diese WM auch gewonnen hätte.

Spektakel können eben zusammenschweißen, aber auch gefährliche Reflexe auslösen.

Wir müssen immer wieder eines bewusst machen: Wer seine Identität nicht in sich und mit sich selbst finden kann, der sucht sie irgendwo anders. Etwa bei den "Identitären", im Völkisch-Nationalistischen. Die Menschen sind auch stark verunsichert – durch die Finanzlage, einen völlig wahnsinnig gewordenen Neoliberalismus und Kapitalismus. Sodass die Menschen jetzt zu etwas greifen, das ihnen anscheinend wieder eine Identität gibt. Aber eine Identität kann man nur in seinen Tiefen, seiner Seele finden.

Sie haben einmal gesagt, Sie wollen als Musiker per se nichts bewirken. Aber wollen Sie den Menschen nicht etwas reichen, das ihnen dabei hilft, sich selbst zu finden?

Das hätte ich schon immer gerne erreicht. Als ich aber das gesagt habe, was Sie anfangs erwähnt haben, ging es mir darum, festzuhalten, dass ich als Künstler keine bestimmte Ideologie verbreiten will. Ich bin kein Politiker, aber nach wie vor ein bekennender Anarcho, und ich strebe eine herrschaftsfreie, nicht-patriarchalische Welt an.

Was trägt die Kunst dazu bei?

Was man für sie tun kann, ist Mut machen. Das merke ich in der jetzigen Zeit sehr deutlich, was mir wiederum Kraft gibt. Mir hat neulich ein Mann geschrieben, dass er jetzt 61 Jahre alt sei und die Welt nun mal so lasse, wie sie ist. Er könne eh nichts mehr ändern, aber nachdem er mich gehört hat, habe er wieder das Gefühl, doch noch etwas tun zu können. So eine schöne, konkrete Aussage. Sie bestätigt auch, dass es richtig ist, vor denen zu singen, die ohnehin ähnlicher Meinung sind. Soll ich mich in die FPÖ-Parteizentrale begeben und dort meine Lieder singen? Das wird nix bringen.

Vielleicht hätten Sie auch Angst davor, sich selbst, ihr Tun reflektieren zu müssen?

Durch die Poesie findet man sich selbst. Deswegen haben die Mächtigen, die Ideologen auch so eine Angst vor ihr, weil es etwas in ihnen anrühren würde, was sie nicht zulassen wollen.

 

Zur Person: Ob "Liebeslied", "Sage nein!" oder sein "Willy" – Konstantin Wecker, 71, gilt als einer der größten deutschen Liedermacher. Der Münchner vertritt eine klare gesellschaftspolitische Haltung, eine Partei kann für ihn aber nie eine Heimat sein. Am 25.7. spielt er auf Einladung des Kulturpanoramas Garsten im Stadtsaal Steyr ein "Solo zu zweit" mit Jo Barnikel. 20 Uhr.

Karten: OÖN Linz, Wels, Ried/I., Tel.: 0732 7805 805, www.wasistlos.at