"Kitsch- und Bombastzeiten sind vorbei"

Von Silvia Nagl   08.April 2015

Das Landestheater Linz ist das einzige Theaterhaus im deutschen Sprachraum mit einer eigenen und fixen Musical-Sparte. Maßgeblichen Anteil am großen Erfolg dieser Sparte hat deren musikalischer Leiter Kai Tietje (46), der mit seiner Frau und Tochter in Linz "gut aufgenommen wurde und Freunde gefunden hat". Trotzdem verlässt er mit Ende der Saison Linz.

 

OÖNachrichten: Was bitte kann reizvoller sein, dass man Linz und das Musiktheater verlässt?

Kai Tietje: Nichts! Ich gehe ja in die Freiberuflichkeit zurück. Ich habe verschiedene Projekte, die sich mit dem fixen Job in Linz nicht vereinbaren lassen. Es gab nur die Entscheidung Entweder-oder. Es hat auch private Gründe: Meine Frau, die Sopranistin Claudia Braun-Tietje, hat hier auch im Musiktheater gesungen (u. a. Woglinde in "Rheingold", Anm.), und wir haben eine siebenjährige Tochter. Wir wollen flexibel bleiben, aber auch, dass unsere Tochter gut betreut ist, deshalb übersiedeln wir zu den Schwiegereltern bei Nürnberg. Nürnberg liegt recht zentral, von dort aus können wir verschiedene Engagements annehmen.

Und was war vor zwei Jahren an diesem Job in Linz reizvoll?

Einen Leitungsposten in einer festen Position zu übernehmen, das hatte ich vorher nicht. Ich habe viele Projekte in verschiedenen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gemacht. Hier in Linz aber mitgestalten zu können bei den vier, fünf Stücken pro Jahr, das war schon sehr reizvoll.

War das Arbeitspensum manchmal zu viel?

Es war sicher nicht zu wenig! Ich bin ja beteiligt bei Stückentwicklung und Arrangements. Und ich bin Enthusiast. Wenn dann, so wie hier in Linz, etwas Neues passiert, ist das einfach toll: Da habe ich auch Aufgaben übernommen, die ich gar nicht machen hätte sollen.

Wie schaut es überhaupt rechtlich aus bei Musicals mit neuen Arrangements?

Es gibt im Musical-Bereich meist sehr genaue Vorlagen von den Verlagen. Aber man muss gewisse Anpassungen machen, weil die Instrumentierungen auch immer anders sind. Wenn man aber grundsätzlich dagegen verstößt, kann ein Verlag das Stück tatsächlich sofort stoppen lassen.

Welches Musical bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?

Eindeutig "Next to Normal". Ein Musical, das nicht kitschig, aber so realistisch und berührend ist. Es kommt ja auch ohne Tanz aus, zeigt eine eher intime Schauspiel-Form. Darin sehe ich auch Zukunft für das Genre Musical. Ich glaube, dass diese Kitsch- und Bombast-Zeiten wie bei "Cats" und "Elisabeth" vorbei sind.

Was macht es Ihrer Meinung nach aus, dass das Publikum so Musical-verrückt ist?

Es gibt ja auch diejenigen, die Musical komplett ablehnen, weil es vom Anspruch her nicht hoch genug sei. Musical ist zeitgenössisches Musiktheater, das manchmal ein wenig banal ansetzt. Es ist eine besondere Mischung aus Schauspiel, Musik und Tanz. Wir schneidern das Musical auf die Wahrnehmung der heutigen Seh- und Hörgewohnheiten zu.

Sie proben gerade für das Musical "Tommy" von der Rockgruppe "The Who" (Premiere am 24. April). Das stammt aus den 70ern – wie wird das heutig?

Das ist 70er Jahre, mit einer klassischen Rock-Instrumentierung: Gitarren, Keyboards, ein paar Streicher sind auf dem Keyboard dazugekommen. Wir sind mit dieser Instrumentierung näher an der heutigen Zeit als mit Sounds aus den 80ern. Wir versuchen nicht wie der Film aus den 70ern in dieses psychedelische Flower-Power-Getue abzudriften, wir wollen psychologischer werden.

Gibt es Tipps, Ratschläge für Ihren Nachfolger?

Schwierig. Aber man muss aufpassen, dass man sich nicht um alles kümmert und nicht alles selbst machen will.

 

Ensemble-Änderungen

Musiktheater:
Ab: Bernadett Fodor, Sonja Gornik, Katerina Hebelkova, Franz Binder (Pension);
Zu: Fenja Lukas, Michael Wagner

Musical:
Ab: Kai Tietje (als Bandleader folgt ihm Bela Fischer jr.), Barbara Obermeier (Ensemble)
Zu: Anais Lueken (Ensemble)

Schauspiel:
Ab: Lukas Spisser, Sabrina Rupp (u\hof:)
Zu: Claudia Waldherr (u\hof:)