Karl Marx in Richard Wagners Himmel

Von Michael Wruss   02.November 2018

Wenn der Komponist und bekennende Agnostiker Peter Androsch vom "Himmel" spricht, heißt es hellhörig zu werden. So auch am Mittwoch im sehr gut besuchten mittleren Saal des Brucknerhauses bei der Uraufführung von "Himmel II, einem Totengespräch zwischen Richard Wagner und Karl Marx", die 1883 im Abstand von nur zwei Monaten das Zeitliche segneten.

Unterschiedlicher könnten die fiktiven Diskussionspartner gar nicht sein, und dennoch entdeckten Peter Androsch und seine Mitkomponisten und Mitinterpreten Bernd Preinfalk, Didi Bruckmayr und Yova Serkova zahlreiche Parallelen vor allem in Bezug auf den Begriff "Erlösung". Bei dem einen christlich gefärbt als Erlösung durch den Tod, bei dem anderen als reale Forderung einer Erlösung von Knechtschaft, Leibeigenschaft und dadurch generierter Armut weiter Teile der Menschheit.

Salz, das weiße Gold

Ein Bild, das ebenfalls den ganzen Abend durchzog, ist jenes des Salzes, das ursprünglich in trichterförmig angelegten Bergwerken abgebaut wurde. Der Trichter ist aber auch Dantes Vorstellung vom Inferno, das für weite Bereiche der Menschheit nicht bloß eine grauenvolle Vorahnung auf das Höllengericht nach dem Tod bedeutete, sondern das eine tagtäglich gelebte Wirklichkeit repräsentierte – Gott ist zugunsten der Reichen zur Industrie geworden, in der die Arbeiter ausgebeutet werden. Salz wiederum ist weißes Gold, ist begehrlicher Stoff, der aber wie das Leben zerrinnt. Das war vielleicht ein Gedanke der das Konzert umgebenden Installation. Mit Salz gefüllte Plastiksäcke, aus denen gleich einer Sanduhr des Lebens beständig Salz auf den Boden rieselte, hingen bedrohlich von oben herab. Wie lassen sich solche Gedanken in Musik umsetzen? In Klänge, die einerseits flächig an Wagners unendliche Melodien erinnern mögen und in die Didi Bruckmayr Wortfetzen – u.a. alle Protagonisten von Wagners Ring-Tetralogie – hineinmurmelte, -sang, -schrie, -stöhnte, -flüsterte. Andererseits in beinahe traditionelle Strukturen, die aber in ihrer immerwährenden Präsenz zur maschinellen Dauerbedrohung werden. Quasi-Märsche, die sich nur durch brutale Beckenschläge beenden lassen.

So entstanden vierzehn auch von der Besetzung her sehr unterschiedliche, kurze Teile, die von einem zweimal differenziert interpretierten Stück quasi als Rahmen umgeben waren, so ein sehr schlüssiges Ganzes ergaben und dabei den Fokus durchaus auch mit Augenzwinkern auf diese beiden Größen der Menschheitsgeschichte legten.

Fazit: Ein Abend, der auch deshalb beeindruckte, weil die Umsetzung durch die Komponisten/Improvisatoren in absolut konzentrierter Ernsthaftigkeit und ausgetüftelter Klanglichkeit stattfand.

Konzerte – Hier und Jetzt, Peter Androsch: "Himmel II", Uraufführung, Brucknerhaus, 31. Oktober.