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"Jeder einzelne Mensch ist eine ganze Welt"

Von Helmut Atteneder, 04. Jänner 2019, 00:04 Uhr
"Jeder einzelne Mensch ist eine ganze Welt"
Arik Brauer ist Mitbegründer der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“. Seine Bilder werden stets dominant von Farben getragen, der Formen- und Gestaltenreichtum ist bezeichnend. Bild: OON

Arik Brauer, der Maler, Musiker und Bühnenbildner, wird heute 90 Jahre alt

Auch an seinem 90. Geburtstag wird Arik Brauer nach einem ausgiebigen Frühstück mit seiner Frau, samt penibler Diskussion der weltpolitischen Lage, wieder an die Arbeit gehen. Malen ist das tägliche Lebenselixier für einen, dessen geistige Frische offenbar kein Ablaufdatum hat.

 

OÖNachrichten: Herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag, Herr Brauer! Wie feiern Sie?

Arik Brauer: Herzlichen Dank! Im Theater am Rabenhof gibt es heute Abend ein Theaterstück, das von meiner Tochter Ruth geschrieben wurde. Ich habe keine Ahnung, was da kommt. Allerdings habe ich das Bühnenbild dafür gemacht. Das Familienfest hat schon stattgefunden. Ein Teil meiner Familie lebt in Israel, und die waren vollzählig da. Es wurde getanzt und gesungen. Das war natürlich fantastisch.

Wie darf man sich das Leben eines 90-Jährigen vorstellen, der so wie Sie noch unglaublich agil und auch geistig noch so wendig ist?

Ich war mein Leben lang ein Morgenmensch. Meine Frau und ich stehen um halb sieben auf, dann wird ausgiebig gefrühstückt, wir besprechen die Zeitung, schimpfen auf alle, die man schimpfen soll, und loben alle, die man loben soll. Nach unserem Sinn halt. Das ist eine wunderbare Stunde. Und dann setze ich mich hin und fange an zu malen. Den ganzen Tag. Ich kann gar nicht anders. Das ist nicht Disziplin, das ist einfach mein Leben.

Darf man wissen, wer geschimpft und wer gelobt wird?

Das geht quer durch die Reihen. Das ist alles viel komplizierter, als man es sich wünscht. Natürlich ist jeder Mensch von seiner Kindheit geprägt, und man hat eine bestimmte Weltsicht. Wenn man die Geduld und die Reife hat, dass man jedes Mal nachfragt, wie schaut es bei dem auf der anderen Seite aus, sieht man, wie sehr man sich irrt, wenn man sich irgendwelcher Klischees bedient, die einem das Weltbild vereinfachen sollen.

Worauf sind Sie stolz, was macht Sie glücklich?

Glücklich macht mich, und – soweit ich es verursacht habe – auch stolz, dass ich den wesentlichen Teil meines Lebens mit meiner Kunst verbringen durfte. Ich habe von der Früh bis am Abend immer genau das gemacht, was ich tun wollte. Das ist ein enormes Glück, das nicht jedem beschieden ist. Glück und Umstände haben das möglich gemacht, aber vom Himmel allein fällt es natürlich nicht herunter.

Ihr Vater wurde 1944 von den Nazis ermordet. Da waren Sie 15. Wie sehr hat er Sie geprägt?

Mein Vater hat diese Berufung voll ausgefüllt und hat dadurch eine enorme Bedeutung für mich. Er hat beim Arbeiten russische und jiddische Lieder vor sich hingesungen, und die habe ich mein ganzes Leben im Ohr.

Wie gehen Sie mit der Ermordung Ihres Vaters – dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit – bis heute um?

Ich war zehn Jahre alt, als ich meinen Vater zum letzten Mal gesehen habe, und es gibt ja kaum etwas, das man nicht überwindet, wenn man erst zehn Jahre alt war. Leute, die älter waren, sind wahrscheinlich schmerzlicher gezeichnet.

Was war das letzte Lebenszeichen Ihres Vaters?

Es gab noch Kontakte. Es hat sogar ein Soldat aus der Nazi-Armee, ein Wiener, das Risiko auf sich genommen und noch einige Male Briefe meines Vaters nach Hause gebracht, die ich noch habe. Im letzten Brief fragt mein Vater meine Mutter, ob ich mich noch mit der Malerei beschäftige.

Ist Verzeihen etwas, das Ihnen im Zusammenhang mit der Ermordung Ihres Vaters geholfen hat?

Ich habe früh gelernt, die Menschheit als einzelne Personen zu begreifen. Es macht das Leben natürlich einfacher, wenn man sagt, die Deutschen oder die Araber oder die Juden. Aber das gibt es ja in Wirklichkeit nicht. Jeder einzelne Mensch zählt, und jeder einzelne ist eine ganze Welt. Bei denjenigen, die das geplant und durchgezogen haben, gibt es kein Verzeihen. Die haben einen Einbruch in der menschlichen Zivilisation von historischer Gewalt und Tragik vollzogen. Das betrifft bestimmte Personen, die ich persönlich nicht kenne und auch nicht kennen will. Aber zu sagen, die Deutschen und ihre Nachkommen, mag ich nicht, das ist ein Unsinn. Das ist ja auch Rassismus.

Sie haben den Holocaust in einem Versteck überlebt.

Ich habe in der Kultusgemeinde bis zum Schluss in der Tischlerei gearbeitet. Ganz zum Schluss wäre ich natürlich auch weggeschickt worden, da habe ich mich versteckt. In einem Schrebergarten. Ich bin auf die Butterseite gefallen, im Vergleich zu Schicksalsgenossen. Sonst wäre ich jetzt nicht da.

Weltweit wird eine Art neuer Antisemitismus festgestellt – haben Sie persönliche Erfahrungen damit gemacht?

Persönlich nicht. Natürlich gab es auch nach dem Krieg diese Ideologie "Was Jud ist, das stinkt", weil sich diese Menschen nicht in Luft aufgelöst haben. Die nächste Generation war ein großer Umschwung. Das, was jetzt so stark besprochen wird, betrifft mich kaum. Es hat keine politische Relevanz in Österreich. Im Gegenteil, das ist ein bissl so ein Philosemitismus, der a Hetz ist und net viel kost’.

Sie melden sich beizeiten politisch zu Wort. Tun Sie sich schwer mit der Regierungspartei FPÖ?

Ich tu mir schwer damit, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, der hinter dieser Partei steht. Da muss man jetzt nicht böse sein und schauen, dass man auf der Seite der Gerechten ist, sondern, dass man diese Menschen an sich heranzieht. Es geht vor allem um Europa. Und das ist es, was mich persönlich an dieser Partei beunruhigt. Dieser Eiertanz, indem sie sagen "ja, ja, ja", aber in Wirklichkeit meinen sie "nein, nein, nein". Ich habe persönlich mit dem Strache darüber diskutiert. Sie glauben nicht wirklich an die Zukunft, nicht nur in Bezug auf Europa. Sie haben die Augen im Hinterkopf. Diese Partei schaut nach rückwärts. Sie sind der Bremsklotz an unserem Bein.

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Mein Alter hat den Vorteil, dass ich mit 90 Jahren ein bewusst denkender Mensch bin. Ich sehe in meinem Leben einen wahnsinnig interessanten, historischen Abschnitt, der stets bergauf ging. Was ist das also für ein Geraunze! So demokratisch wie jetzt war Europa, war die Menschheit noch nie. Das gab es noch nie, dass Homosexuelle als Menschen akzeptiert wurden und Antisemitismus kein Allgemeingut ist, sondern ein peinlicher Ausrutscher. Im 20. Jahrhundert wurde unter Qualen vieles errungen, und es geht darum, das nicht wieder zu verlieren. Ich sehe das als großartige Voranentwicklung, wenn wir nicht zufällig an uns selber zugrunde gehen, weil wir die Umwelt kaputt machen. Diese Dinge sind zarte Pflanzen.

 

Das Leben des Arik Brauer

Der Maler, Bühnenbildner, Tänzer, Musiker, Sänger und Komponist Arik Brauer wurde als „Erich“ am 4. Jänner 1929 als Sohn eines jüdischen Schuhmachers in Wien-Ottakring geboren. Die Familie wird vom NS-Regime verfolgt, sein Vater wird 1944 in einem Vernichtungslager ermordet.

Nach dem Krieg studiert Brauer Malerei und Gesang. Mit Ernst Fuchs und Anton Lehmden begründet er den fantasievollen Malstil „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“.

Zunächst lebt Brauer von den Auftritten als Sänger, ab 1960 wird die Malerei zu seiner Haupttätigkeit. Er entwirft Bühnenbilder an den Opern in Wien, Paris und Zürich, als nimmermüder Maler hat er zahlreiche Ausstellungen. In den 1970er-Jahren ist er Mitbegründer des Austropops und feiert Erfolge als Architekt (Brauerhaus in Wien).

Der hochdekorierte Künstler ist mit der Israelin Naomi verheiratet und hat drei Töchter (Timna, Talja und Ruth).

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3  Kommentare
3  Kommentare
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zweitegeige (516 Kommentare)
am 04.01.2019 23:55

Ohne Kunst und Musik wird man irre.

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jago (57.723 Kommentare)
am 04.01.2019 20:13

> "Jeder einzelne Mensch ist eine ganze Welt"

Als der Arik Brauer und ich noch um 50 Jahre jünger waren, hat das gestimmt.

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zweitegeige (516 Kommentare)
am 05.01.2019 00:01

Damals hätte ich die Gelassenheit von heute nicht gehabt.
Es war eine deutlich andere Welt.

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