Gerhard Haderer: "Für meinen Ungehorsam wurde ich immer belohnt"

Von Peter Grubmüller   15.November 2017

Im Bau 1 der Linzer Tabakfabrik öffnet sich am Samstag ein neuer Raum: Gerhard Haderers "Schule des Ungehorsams". Eingebettet in Haderers Werke, versteht sich der Ort als Plattform, Menschen zur Beteiligung an gesellschaftsrelevanten Themen anzuregen. Im Interview erzählt der 66-Jährige davon.
 

OÖNachrichten: Hatten Sie eine Art Erweckungserlebnis, das Ihnen den Bedarf einer Schule des Ungehorsams klargemacht hat?

Gerhard Haderer: Das fand vor sechs Jahren statt. Ich hab’ damals festgestellt, dass es einen Riesencrash in der Weltordnung gab – den Finanzcrash 2008 –, und die Menschen haben schon drei Jahre später so getan, als sei nichts passiert. Wenn die Manipulation so umfassend ist, muss man dazu aufrufen, sich Gedanken zu machen. Es ist ja logisch: Wer nichts weiß, der muss alles glauben. Ich dachte, ich stelle alles auf den Kopf – vor allem diesen Begriff "Gehorsam". Mit Erstaunen registriere ich, dass die Menschen beim Wort "Ungehorsam" zusammenzucken. Der destruktive Gehorsam beunruhigt interessanterweise niemanden.

Wie war der nächste Schritt?

Es ging also darum, diesen Unmut der Menschen – der ein Grund ist, warum heute viele auf die Straße gehen – zu kultivieren. Wir laden Historiker ein, die uns sagen, wie es sich mit dem Ungehorsam in der Geschichte verhält. Oder Naturwissenschafter, um zu erfahren, wie Ungehorsam der Motor für fortschrittliche Entwicklung sein kann.

Wie bewerten Sie die politische Debatte aktuell nach der Wahl?

Die Menschen sagen: "Gut, jetzt haben wir den neuen Kanzler gewählt – und der Basti wird’s scho richten." Schon ziehen sich alle in dieses Neo-Biedermeier auf die Couch zurück und posten hin und wieder etwas Freches im Netz. Die Beteiligung an der Demokratie ist damit erschöpft. Diese Selbstgefälligkeit ist es, die mich zu Zeichnungen und Gedanken anstachelt. Und wenn es so ist, dass Kurz eine dieser Lichtgestalten ist, dann misstraue ich dem nicht nur, sondern wünsche mir Lichtgedanken. So träumerisch bin ich.

Sie bezeichnen sich selbst als Schulwart, haben Sie mit dem Programm nichts zu tun?

Doch, aber diese Schulwart-Koketterie ist mir sympathisch. Mein Sohn ist derjenige, der den Verein führt. Der intellektuelle Unterbau ergibt sich aus meiner Arbeit. Wir wollen eine Plattform für jeden sein. Nicht nur für Künstler, obwohl die wichtig sind, weil deren Sprache hilft, Veränderungen in der Gesellschaft und Beteiligung an die Menschen heranzubringen. Ich freue mich auch über die Nachbarschaft zum Archiv von Valie Export. Sie hat gezeigt, dass es möglich ist, eine Demokratie mit Talent und Wissen mitzuentwickeln.

Wie entkommen Sie der Gefahr, nur jene zu erreichen, die sich ohnehin beteiligen?

Wir weisen alle darauf hin, dass erstmals das Gegenteil zu vielen Schulen des Gehorsams existiert. Das macht neugierig. Und wenn wir uns die Auffälligen vorstellen, die sich im bestehenden Schulsystem nur schwer zurechtfinden, dann laden wir auch die ein. Wir vermitteln ihnen, ihre Sprache so zu formulieren, um einen Dialog möglich zu machen.

Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Ihr Ungehorsam für Sie schmerzhaft geworden ist?

Für meinen Ungehorsam wurde ich immer belohnt. Als ich in Linz aufgewachsen bin, Grafik studiert und als Werbegrafiker gearbeitet habe, hab’ ich 15 Jahre lang gehorsam und brav getan, was mir gesagt wurde. Ich musste Geld verdienen, Familie gründen, Häuschen bauen – und ich bin fast draufgegangen, weil ich das nicht mittragen konnte. Also musste ich ungehorsam werden und mein Talent mit eigenen Gedanken zur Diskussion stellen. Ab diesem Moment hat sich alles positiv entwickelt.

Schule des Ungehorsams

Nach der Eröffnung am Samstag wird die „Schule des Ungehorsams“ ab Sonntag (14–20 Uhr) für alle Besucher mit zwei Ausstellungen geöffnet sein:

Gerhard Haderers Gemäldegalerie: Der Ölhades – fünf großformatige Ölgemälde in Wohnzimmeratmosphäre, dazu eine aktuelle Ausstellung mit monatlich aktualisierten, neuesten Werken.

Die zweite Ausstellung läuft bis Ende Februar 2018: „Endlich Zeitreise möglich: Die besten Cover aus über 30 Jahren Titanic“. Das deutsche Magazin „Titanic“ wirft unweigerlich die Frage auf, wie weit Satire gehen darf.
Öffnungszeiten ab 19. 1.: Donnerstag–Sonntag, jeweils 14–20 Uhr. schuledesungehorsams.at