Eine Stimme für das Rückgrat
Die OÖNachrichten haben heimische Autorinnen und Autoren eingeladen, im Jahr der Landtagswahl ihren Blick auf Oberösterreich in Essays zu schildern. Heute: Ludwig Laher.
Nach der Matura verließ ich meine Heimatstadt Linz. Das ist gut vierzig Jahre her. Heute passiere ich sie auf dem Weg zwischen meinen Wohnsitzen Wien und St. Pantaleon im Südwesten des Innviertels, meist ohne aus dem Zug zu steigen. Gleich beim Bahndamm auf dem Barbarafriedhof liegen meine Eltern.
Viele Linzer wollen gar nicht recht glauben, dass hinter Kobernaußerwald und Ibmer Moor immer noch Platz ist für ein Stück Oberösterreich. Das aber gehört zum Speckgürtel, wächst, ist perfekt an den Zentralraum angebunden, die S-Bahn verkehrt bis spätnachts, eine Erfolgsstory nicht nur bei Schülern und Pendlern. Von Linz, Sie haben es bemerkt, ist da nicht die Rede, sondern von der Stadt Salzburg, mit der das Oberinnviertel seit je verwoben ist: Salzburger Vorwahl, Postleitzahl, Verkehrsverbund. Will ich nach Linz oder Wien, führt mich der Weg übers Salzburger Eck.
Nicht oft, aber gern in Linz
Salzburg selbst ist keine dreißig Kilometer entfernt, München liegt weit näher als Linz, und in Wien bleiben ohnehin keine Infrastrukturwünsche offen, die sich nur am Pöstlingbergfuß befriedigen ließen. Oft bin ich nicht in Linz, aber gern.
Urbaner als Salzburg, das die Nase höher trägt, hat sich meine Geburtsstadt gemausert. Linz ist lebenswert, Kunst und Kultur haben – noch? – ihren Platz, aber schon mit dem Wort „offen“ zögere ich. Offenheit, will mir scheinen, ist eine tief reichende Qualität, hat mit Haltung zu tun und bewährt sich in der Krise. Mit Wurschtigkeit, die allzu schnell in diffuse Ängste oder Aggression umschlagen kann, darf man sie nicht verwechseln.
Steige ich am Hauptbahnhof in die Straßenbahn, erblicke ich das Licht der Stadt just beim monumentalen Stelzhamer-Denkmal im Volksgarten. Zum 200. Geburtstag des Dichters 2002 habe ich in diesem Blatt gemeint, es wäre redlich und auf mittlere Sicht fruchtbar, seine problematische Gestalt, Landeshymne hin oder her, in ihrer Gebrochenheit endlich breit zu vermitteln.
Sein radikaler Antisemitismus, der „den Juden“ wort- und bildreich zum saugenden Riesenbandwurm in allen gesunden Volkskörpern erklärte, weswegen ihm der Kopf abgeschlagen gehöre, war keineswegs Dutzendware, sondern dermaßen früh in der Diktion erschreckend originär, so der Historiker Michael John im mittlerweile fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienenen Sammelband ‚Der Fall Franz Stelzhamer’.
Der mit Bezug auch auf Stelzhamer im Linzer Gemeinderat eingebrachte Antrag, ein Konzept für den Umgang mit Denkmälern, Verkehrsflächen und öffentlichen Gebäuden zu entwickeln, die faschistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Bezüge haben, fand 2011 keine Mehrheit. Bürgermeister Dobusch meinte sinngemäß, wer in der NS-Zeit längst tot war, dürfe im Nachhinein nicht mitverantwortlich gemacht werden.
Aber genau darum ginge es, vor allem auch in Oberösterreich mit seinem weltweit bekanntesten Sohn: die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass die NS-Herrschaft nicht vom Himmel gefallen ist, dass es zu allen Zeiten eine degoutante Sprache gibt, die grob vereinfacht oder lügt, auf Sündenböcke setzt und entzweit. Wer sich ihrer bedient, führt nichts Gutes im Schilde. Da mag er oder sie in Teilbereichen noch so richtig liegen.
Von rechts geschürte Feindbilder
Wahlen stehen an, sie werden nicht von Gemeinde- oder Landesthemen entschieden werden, von strittigen Verkehrskonzepten, gestiegenen Wohnkosten oder Bildungsfragen. Dominieren werden Politikverdrossenheit und die Angst vor sozialem Abstieg mit den von rechts geschürten Feindbildern Ausländer und EU.
Aussitzen oder bloße Appelle an Menschlichkeit und Vernunft sind keine wirksame Strategie dagegen. In instabilen Zeiten sehnen sich die Menschen nach Orientierung, nach Haltung in der Politik. Wir, die Guten, gegen die Bösen. Das ist der fragwürdige Ansatz, der leider bei zu vielen ankommt. Er bietet Halt, ist fraglos eine Haltung. Bös sind zum Beispiel die EU und die meisten Ausländer. Was soll man dem entgegensetzen?
Viel, meine ich. Vor allem Rückgrat, die Wahrheit, dass simples Schwarz-Weiß-Zeichnen gefährlich ist, was freilich in beide Richtungen gilt. Was die schlingernde EU aufführt, immer noch das bürgerferne Werkzeug ökonomischer Eliten, ist sogar oft beklagenswert und zuweilen – siehe die geheimen TTIP-Verhandlungen – antidemokratisch. Aber ist es wirklich eine gute Idee, Europa auf dem Misthaufen der nationalistischen Schrebergartenmentalität entsorgen zu wollen?
No na, wer zu uns kommt, muss nicht edel sein. Wenn etwa einerseits beim Gendern in der Schule der Rotstift locker sitzen soll, andererseits junge männliche Machomuslime weiblichen Lehrpersonen auf der Nase herumtanzen können, ohne dass das strukturelle Problem dahinter – ein ungetrübter Patriarchatsanspruch im kulturellen oder religiösen Mäntelchen – offensiv von der Politik angegangen wird, überlässt man das Feld gnadenlosen Populisten, die alle Muslime in einen Topf werfen und auf dumpfes Ressentiment abzielen.
Dabei ist es ganz einfach: Wer Bürger dieses Landes ist oder werden will, hat sich dem mühselig errungenen gesellschaftlichen Konsens, dass Mann und Frau gleich viel wert sind, dass keine Religion die allein selig machende sein darf usw. unterzuordnen. Punkt.
Auf allen Seiten sind es die jungen Männer, denen besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung gelten sollte. Wenn an die 40 Prozent von ihnen markige Sprücheklopfer wählen, hat das mit Verunsicherung, aber auch mit der Laschheit des übrigen politischen Personals zu tun, klare Positionen zu beziehen, den geschickten Rekrutierungsversuchen der Rechten im Netz oder am Biertisch Lust auf Differenzierung entgegenzusetzen. Schon in der Schule.
Kein Denkmalsturm
Soziales Lernen müsste längst Schulfach sein, Aufklärung über die NS-Zeit die Augen dafür öffnen, dass eine enthemmte Sprache Taten vorbereiten kann. Womit wir wieder bei Stelzhamer wären: Es geht nicht um Denkmalsturm, bloßes Wegräumen ersetzt keine Auseinandersetzung. Es geht u. a. um klärende Tafeln an den Stelzhamer-Weihestätten, um einen adäquaten Text auf der Homepage des Landes, um Schulmaterialien, die am Beispiel der sich lebenslang zu kurz gekommen wähnenden, labilen und unsteten Landesikone altersgemäß Einsichten bieten in die erstaunliche Vereinbarkeit von haarsträubender Hetze und Entzücken am sinnlichen Detail, an Vogelgezwitscher und Baumblüte, wovon Stelzhamers Werk Zeugnis ablegt.
Die Wahrheit ist, kaum traut man sich das so oft missbrauchte Zitat noch in den Mund zu nehmen, dem Menschen zumutbar. Durchaus vermag er, so Bachmann, enttäuscht zu leben, das heißt: ohne Täuschung.
Gerade die jungen Leute sind prädestiniert fürs Ärmelaufkrempeln und Anpacken. Da hilft ein stabiles Rückgrat.
Leben wir es ihnen vor. Machen wir ihnen eine größere Hoffnung als den starken Mann. Holen wir sie ab. Und zwar schnell.
Der Autor
Der 1955 in Linz geborene Ludwig Laher hat in Salzburg Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie studiert und zunächst als Gymnasiallehrer gearbeitet. Seit 1998 ist er als freier Schriftsteller tätig. Er veröffentlichte Prosa, Lyrik, Essays, Hörspiele, Drehbücher, Übersetzungen sowie wissenschaftliche Arbeiten und erhielt zahlreiche Literaturpreise. An Romanen erschienen u.a. „Herzfleischentartung“ (2001), „Einleben“ (2009), „Verfahren“ (2011). Sein jüngstes Werk „Bitter“ zeichnet die Lebensgeschichte des oberösterreichischen Kriegsverbrechers Fritz Kranebitter nach. Laher lebt in St. Pantaleon im Innviertel und in Wien.
Tipp: Der Autor hält am 31. Juli, 20 Uhr die Festrede zur Eröffnung der Donaufestwochen im Strudengau auf Schloss Greinburg.
Link: www.donau-festwochen.at/programm-2015-1/konzertreihe/auftakt/
BRAVO !