Durch das Martyrium einer Mutter

Von Von Julia Evers   24.Jänner 2009

Manchmal schreibt das Leben Geschichten, alptraumhafter, unglaublicher, dramatischer und zornerweckender, als ein Drehbuchautor das je tun dürfte, wenn er sich noch Reste von Glaubwürdigkeit bewahren will. Clint Eastwood hat für seinen Film „Changeling – Der fremde Sohn“ eine solche Geschichte samt großen Emotionen, diabolischem System und brutalen Kindermorden ausgegraben.

Als Christine Collins (Angelina Jolie) am 10. März 1928 von der Arbeit nach Hause kommt, ist ihr neunjähriger Sohn Walter verschwunden. Monate der Verzweiflung und des Suchens später organisiert die Polizei eine glückliche Wiedervereinigung mit dem verschwundenen Kind – bloß ein Schönheitsfehler stört: Es ist nicht Walter.

Die Polizei, korrupt und verkommen, braucht positive Schlagzeilen und weigert sich, die Tatsachen anzuerkennen: dass die Zahnbefunde nicht übereinstimmen, dass der neue Walter zehn Zentimeter kleiner ist. Stattdessen spielt die Institution ihre Macht aus, lässt Gutachter die Übermutter zur Rabenmutter degradieren, verbannt sie sogar in die Psychiatrie, wo sie gedemütigt und gebrochen werden soll.

„Beginne niemals einen Kampf, aber beende ihn immer“. Nach diesem Motto, das sie ihren Sohn gelehrt hat, setzt sich schließlich auch Christine mit Hilfe eines entschlossenen Pastors (John Malkovich) gegen das System zur Wehr – und wandelt sich vom Lamm zur Löwenmutter.

Ein bebendes „Du bist nicht mein Sohn“. Die Hand vor das Gesicht geschlagen. Große Gefühle, die sich in großen, tränenerfüllten Augen spiegeln: dass das nicht notwendigerweise große Schauspielkunst bedeutet, ruft Angelina Jolie immer wieder ins Gedächtnis.

Doch es ist nicht ihre Schuld allein, dass der Film, der emotionales Drama und Politthriller gleichzeitig sein könnte, nicht das erwartete nächste Meisterwerk von Clint Eastwood geworden ist.

Er setzt Klischees wie die leidende, totale Mutter zwar perfekt in Szene, bricht aber nie mit ihnen. Zeigt das unglaubliche Verhalten des fremden Sohnes, klärt die Motivation aber zu nachlässig auf. Der Stempel der wahren Geschichte genügt nicht, um „Der fremde Sohn“ zu einem Meisterwerk zu adeln.