Dieter Nuhr: "Religöse Menschen sind selten für Toleranz bekannt"

Von Eva Hofmann   28.April 2017

Eine Bühne, ein Mikrofon: Mehr braucht Dieter Nuhr nicht, um aufzuzeigen, was ihn bewegt, ihm aufstößt. Im Interview spricht er darüber, wann er lieber nichts sagt und was er von Klischees hält.

"Nur Nuhr": Der Name ist Programm. Was macht Dieter Nuhr denn aus, wer ist das?

Einerseits ist das eine biologische Einheit, eine Zellmasse in steter Veränderung seit den 60ern. Dann natürlich meine geistige Identität, die, wenn man der Wissenschaft Glauben schenken darf, auch von meinen Darmbakterien geprägt ist, dem sogenannten Darmhirn. Mein Ich ist schließlich das Ergebnis körperlicher Vorgänge, Botenstoffausschüttungen. Dann gibt es noch mein geistiges Ich, das ist aber eine Art spirituelle Spekulation. Und natürlich meine Bühnenperson, die mit mir in vielen Dingen übereinstimmt. Sie redet, was mir durch den Kopf geht. Gott sei Dank können viele etwas damit anfangen und lachen mit mir über die Welt. Das hat mir ermöglicht, aus bloßem Denken und Reden einen Beruf zu machen. Herrlich.

Ein Kabarettist und Satiriker legt den Finger hin, wo es der Gesellschaft weh tut. Sie scheuen sich nicht, kontroverse Themen schonungslos anzusprechen. Was sparen Sie sich lieber?

Ich sage auf der Bühne ausschließlich das, was ich den Betroffenen auch bei persönlicher Anwesenheit ins Gesicht sagen würde. Ansonsten beachte ich meine ganz persönliche Geschmacksgrenze und hoffe, dass sie sich mit der meines Publikums deckt.

Gerade politisch und religiös nehmen Sie sich kein Blatt vor den Mund.
Wie sieht es mit Anfeindungen aus?

Religiöse Menschen sind selten bekannt für Toleranz. Da werden auch schon mal im Namen der Liebe Gottes Todeswünsche formuliert. In Zeiten der asozialen Netzwerke sind aber unreligiöse Menschen bereit, jegliche Zivilisation über Bord zu werfen. Sie drohen, verfluchen oder erklären mir, dass meine Mutter eine Hure ist. Das stimmt aber nicht, das kann ich beweisen. Und selbst wenn es so gewesen wäre? Was soll der Vorwurf?

Tendiert unsere Gesellschaft dazu, die Wahrheit nicht mehr hören zu wollen?

Menschen hören die Wahrheit immer dann gern, wenn sie schmeichelt oder Vorteile verspricht. Ansonsten wollten die Leute schon immer gern belogen werden. Viele Despoten zwingen ihre Untertanen zur Liebe oder bestechen sie, damit sie angenehme Lügen auftischen. Das war nie anders. Der Mensch unterscheidet sich nur unwesentlich vom Schimpansen. Und auch bei Schimpansen geht es um Lausen oder Gelaustwerden. Das ist bei uns nicht wirklich anders.

Wo hört der Spaß für Sie auf, worüber muss man lachen können?

Ideologen machen mich wahnsinnig, wenn sie darauf bestehen, dass nicht ist, was nicht sein darf. Diese Menschen muss man ebenso auslachen wie religiöse Eiferer, die behaupten, zu wissen, was sich der Große Wumbatumba, der Schöpfer der Berge, der Meere und der Reissäcke, die ab und zu mal umfallen, so wünscht. Es gibt so viele Wahnsinnige, das macht mich verrückt.

Comedy arbeitet mit Zuspitzung, teilweise mit Klischees. Unverzichtbar oder unnötig?

Ohne Schubladen ist der Mensch gar nicht in der Lage, die Welt für sich zu ordnen. Es ist Quatsch, ohne Vorurteile durch die Welt gehen zu wollen. Wenn ein Mann mit Sprengstoffgürtel auf mich zukommt, frage ich mich nicht, ob meine Abneigung ein Vorurteil ist und ob ich den Mann aufgrund von Äußerlichkeiten verurteile. Ich laufe.

Ihr Publikum sei am Ende Ihres Programms glücklich, wird versprochen. Ist das Ihr Ziel?

Eines von vielen. Ein bisschen Zufriedenheit zu erzeugen halte ich in der Tat für erstrebenswert. In einer Zeit, in der der vermeintlich kritische Geist jegliche Form von Lebensfreude als Hedonismus verunglimpft, finde ich es eigentlich ganz schön, den Menschen ein gutes Gefühl zu geben. Ich setze dem allgemeinen Jammerlappentum gute Argumente und Pointen entgegen. Dann darf man auch mal lachen. Ich halte das für zulässig. Meine These ist: Es gibt ein Leben vor dem Tod. Das ist in Deutschland nicht jedem klar.

Fühlen Sie Zwänge in Ihrer Arbeit?

Nein. Viele glauben ja heute, wir würden in einem perfiden Manipulationssystem leben. Die glauben, man könnte die Welt steuern, das ist Unsinn. In unserem "System" funktioniert Steuerung nicht. Selbst in einer Rundfunkanstalt laufen so viele verschiedene Charaktere rum, da weiß der eine nicht, was der andere macht. Zu glauben, das würde alles von oben manipuliert, ist eine grobe Überschätzung der Beteiligten. Ich jedenfalls mache, was ich will.

Ihre Medienkritik ist meist sehr deutlich. Wo krankt’s?

Weniger Alarmismus wäre schön. Das ist ein grundsätzliches Problem unserer Informationsübermittlung. Da nur die Abweichung von der Normalität gemeldet wird, wir also ständig mit Abweichungen konfrontiert werden, halten wir irgendwann die Abweichung für die Normalität. Wir glauben, es gäbe ständig Unfälle, überall sei Gewalt, ständig würde sich jemand in die Luft sprengen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir leben in einer vergleichsweise sicheren Zeit. Überall gibt es Ärzte, der Mitbürger verzichtet meist auf das Massakrieren, und im Normalfall komme ich unfallfrei nach Hause.

Würden Sie sagen, Sie haben Einblick in die Volksseele, wissen, was sie bewegt?

Ich habe offene Ohren und wahrscheinlich schon ein ganz gutes Gespür für das, was gerade vor sich geht.

Muss es für Sie immer der Schritt weiter sein, hinaus aus der Komfortzone?

Leider muss ich mein Programm immer mal ändern, schon weil es mir und dem Publikum sonst aus den Ohren rauskommt. Dadurch muss ich mich immer wieder neu erfinden. Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin. Da habe ich ja dann Zeit. Hoffentlich.

Termin: Am 12. Mai ist Dieter Nuhr mit seinem Programm „Nur Nuhr“ in der Linzer TipsArena zu Gast. Beginn ist um 20 Uhr. Karten: OÖN-Ticketbüros in Linz, Wels und Ried i.I., OÖN-Tickethotline 0732/7805-805, www.wasistlos.at 

Programm: Keine Pyrotechnik oder billigen Effekte: Er hätte ja gerne 40 Tänzerinnen mitgenommen, aber seine Frau sei dagegen gewesen, scherzt Nuhr. In „Nur Nuhr“ bringt er aufs Tapet, was (ihn) wirklich bewegt: „Es geht um Aktuelles, aber auch um Jungfrauengeburt, Weltuntergangsängste und warum man in Anwesenheit von Kindern immer bei Rot gehen sollte.

ZUR PERSON 

Leben: Geboren 1960 in Wessel, zog es den studierten Lehrer der Bildenden Kunst und Geschichte schon zu Schulzeiten auf die Bühne. Hatte es ihm anfangs noch das Theater angetan, gründete er 1986 mit einem Freund sein erstes Kabarettduo, bevor er seinen Weg solistisch weiterging und schließlich auch den Weg ins Fernsehen fand,

Kritik: Für seine gesellschaftspolitischen und religions-bezogenen Statements auf der Bühne, im Fernsehen und in den sozialen Medien steht Dieter Nuhr – auch unter Kollegen – immer wieder deutlich in der Kritik.