"Dieses Bildungsideal verstehe ich nicht: Gute Oper, böse Pop- und Volksmusik"

Von Peter Grubmüller   13.März 2018

Am Samstag ist Stefan Ruzowitzky (56) neben dem syrischen Pianisten Aeham Ahmad und der saudischen IT-Beraterin Manal al-Sharif, die sich dafür eingesetzt hat, als Frau Auto fahren zu dürfen, beim "Academia Superior"-Symposium zum Thema "Mut" zu Gast (Toscana-Congress Gmunden, 19.30 Uhr). Im OÖN-Interview analysiert der in Linz aufgewachsene Oscar-Preisträger seine eigene Mutmacher-Funktion und warum der ORF als öffentlich-rechtliches Medium von Bedeutung ist.

 

OÖNachrichten: Wie definieren Sie Mut?

Stefan Ruzowitzky: Mut ist, sich aus seiner Komfortzone herauszubewegen. Diese Komfortzone ist bei jedem etwas anderes. Wenn ein Skispringer den Anlauf runterfährt, dann braucht er eine andere Form von Mut als jemand, der das noch nie gemacht hat. Es geht um das Wagnis, etwas anderes als gewöhnlich zu tun – und sich selbst in Frage zu stellen.

Die Organisatoren dieser Veranstaltung bezeichnen Sie als Mutmacher vor und hinter der Kamera. Bewerten Sie das auch so?

Erstens: Ich glaub’, ich hab’ in meinen Filmen meist Helden, die sich etwas trauen und dafür belohnt werden. Das ist ein amerikanischer oder internationaler Zugang. In Österreich haben wir jene Geschichten, in denen es heißt, es sei alles fürchterlich – und das ist auch nicht zu ändern. Wer etwas anderes behauptet, der lügt beschönigend. Diesen Mut, es zu versuchen, sein eigenes Leben oder die Welt besser zu machen, sollte man sich nicht vermiesen lassen. Andernfalls führt es zu einer schrecklichen Passivität. Natürlich kann ein Einzelner nicht Kriege beenden oder den Atom-Ausstieg bewirken, aber jedes Individuum hat seine Möglichkeiten, etwas zu verändern. Insofern beurteile ich mich mit meinen Geschichten schon als Mutmacher.

Und zweitens?

Ich glaube, dass mein Beispiel auch jungen Filmemachern Mut gemacht hat. Es gibt ja diesen Mythos, dass wir armen, kleinen Österreicher in der großen Welt keine Chance haben. Mein Oscar hatte auch die Botschaft: Doch, das geht.

Sie haben jüngst für den Bezahlsender Sky die Serie "Acht Tage" gedreht. Wie unterscheidet sich diese Arbeit von jener für öffentlich-rechtliche Sender?

Öffentlich-rechtliche Sender produzieren meist schaumgebremst für älteres Publikum. Man glaubt dort, bei der Darstellung von Sexualität oder Gewalt aufpassen zu müssen – also nichts zu machen, was zu polarisierend wäre. Diese neue Kultur der Serien nach amerikanischem Vorbild der Pay-TV-Sender hat einen anderen Zugang: "Alles ist erlaubt, bloß langweilen dürft ihr das Publikum nicht. Und ihr müsst beweisen, dass es sich lohnt, für einen Bezahlsender zu bezahlen – weil wir mutiger sind und mehr Sex, mehr Gewalt zeigen." Dieser Ansatz entspricht mir viel mehr als der biedere der Öffentlich-Rechtlichen.

Wie definieren Sie den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF?

Ein österreichischer öffentlich-rechtlicher Sender hat eine wichtige Funktion: Er ist ein Turbo-Verstärker – von Sport, wo Vereine Bandenwerbung im Fernsehen präsentieren, über Kultur bis zur Politik. Bei den Privaten kann passieren, dass entschieden wird: Na, politische Berichterstattung, die verkauft sich nicht, mach ma die halt nicht. Die Gesellschaft muss dafür Sorge tragen – und es muss ihr etwas wert sein –, dass diese Berichterstattung gewährleistet bleibt. Es geht darum, wichtige Inhalte, die woanders aus finanziellen Gründen nicht wahrgenommen werden, abzusichern. Dass dies Niveau und Qualität haben soll, versteht sich von selbst. Dieses gutbürgerliche Bildungsideal verstehe ich aber auch nicht: gute Oper, böse Pop- oder Volksmusik. Jeder, der bezahlt, hat auch ein Recht darauf, dass seine Interessen vom ORF bedient werden.

Es gibt die Initiative zur Bewahrung der Unabhängigkeit des ORF. War der ORF jemals unabhängig?

(lacht) Nie zur Gänze. Aber es gibt auch negative Klischees. Ich habe lange für den ORF gearbeitet, und schon bei mir war es nicht so, dass man dort nur über Beziehungen reinkommt. Politiker und Interessengruppen mögen zwar versuchen, ihre Interessen zu platzieren, aber der neu eröffnete Schuhgroßmarkt will das auch. Ich hab’ nie erlebt, dass Politiker oder Parteibüros mit dem Hinweis anrufen: "Berichtet doch anders." In erster Linie muss man Redakteure stärken, ihrem journalistischen Ethos zu folgen.

Es wird diskutiert, anstatt des ORF-Stiftungsrats einen Aufsichtsrat mit Medienexperten einzusetzen. Würden Sie zur Verfügung stehen?

Es kommt auch auf den Zeitaufwand an, aber grundsätzlich ja, natürlich. Allerdings nicht, wenn sich die Entsandten wieder irgendwelchen Parteien und Gruppen verbunden fühlen – das finde ich schäbig und erbärmlich. Ich wäre vielleicht deshalb ein guter Mann, weil ich mich niemandem anschließen würde (lacht).

Sie haben den Oscar vor zehn Jahren gewonnen, wie hat sich Ihre Arbeit seitdem verändert?

Ich weiß, Journalisten wollen immer hören, dass der Preis auch seine Schattenseiten hat ...

… nein, ich lasse mir auch gerne von Glanz und Gloria berichten …

... (lacht) gut, weil mit Schattenseiten kann ich nicht dienen. Auf und Abs gibt es immer, einmal bleibt das Publikum aus, dann sind die Kritiker unzufrieden. All das befördert die Unsicherheit, ob man überhaupt kann, was man da tut. Und dann bekommt man so einen Ritterschlag, der Sicherheit gibt. Ich hab’ es nie so empfunden, dass ich mich jetzt nicht mehr steigern kann, sondern ich hab’ es als die Eröffnung von Möglichkeiten betrachtet. Man muss sich nicht mehr pausenlos beweisen, sondern bekommt Mut, etwas zu riskieren und auf die Nase zu fallen.