Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

"Die scheußliche Angst vor der Angst"

Von Peter Grubmüller, 27. März 2017, 00:04 Uhr
"Die scheußliche Angst vor der Angst"
Corinna Harfouch Bild: dpa

Am Mittwoch wird Corinna Harfouch in den Linzer Kammerspielen "Septembren" lesen. Ihren Leseabend versteht sie auch als theatrale Ansage, wie die Schauspielerin den OÖN verriet.

Sie ist eine der besten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum, ihre Rollen sind so bemerkenswert wie die Liste ihre Auszeichnungen. Am Mittwoch wird Corinna Harfouch in den Linzer Kammerspielen den schmerzhaften und zugleich poetischen Text "Septembren" des französischen Autors Philippe Malone szenisch lesen. Er handelt von einem Kind, das nach katastrophalen Erlebnissen selbst dazu bereit ist, den Sprengstoffgürtel umzuschnallen (Info: www.landestheater-linz.at).

 

OÖNachrichten: Der Text ist auf Deutsch völlig unbekannt, wie ist er zu Ihnen gekommen?

Corinna Harfouch: Ich bin mit der Übersetzerin Kristin Schulz befreundet. Am Deutschen Theater in Berlin habe ich eine Lesetheater-Reihe, für die ich immer nach Texten suche. Kristin hat mir von diesem Text erzählt – und nachdem ich ihn gelesen hatte, wusste ich, den muss ich machen. Ich habe eine erhöhte Aufmerksamkeit für Texte, die Fragen, wie muslimische Welt, Islam, westliche Welt und Terrorismus nicht so eindimensional behandeln. Ich suche nach Möglichkeiten, nicht dem Klischee zu verfallen. Wenn man sich diesen Text anhört, macht man eine Erfahrung – man kann sich dagegen sträuben, man kann wütend werden, man spürt eine Reaktion. Es ist Glück, wenn ein Text so etwas schafft.

Auf der Bühne wird der Künstler Helge Leiberg live zu Ihrer szenischen Lesung malen. Warum haben Sie dieses künstlerische Element dazu genommen?

Er malt live wirkliche Kunst, die während des Prozesses an diesem Abend entsteht und vergeht. Seine Bilder sind nie gleich, er improvisiert immer, er überlässt sich der Stimmung des Tages. Alleine dieses Element erlebt man als Ereignis. Die Sinnesorgane müssen entscheiden: Schau ich mir das Entstehen dieser Kunst an, konzentriere ich mich auf das Zuhören oder schaffe ich es sogar, beides aufzunehmen? Das erzeugt eine besondere Spannung.

Nun hat der Terror auch Deutschland erreicht. Was hat diese Erfahrung der Nähe zum Terror mit Ihnen gemacht?

Vielleicht klingt es fies, aber ich glaube, dass diese scheußliche Angst vor der Angst viel schlimmer ist. Sie richtet auch viel mehr an. Allein die Fantasie, was passieren könnte, beeinflusst das Leben so viel mehr, als wenn wirklich etwas passiert. Ich war stolz, wie gelassen in Deutschland reagiert wurde – gelassen im Sinne einer guten Ruhe. Es hat mich auch beeindruckt, dass es danach einen ökumenischen Gottesdienst gab.

Spüren Sie diese Angst selbst?

Nicht wegen mir, sondern wegen meiner Kinder. Im konkreten Fall stelle ich mir sie vor, sie leben in Berlin und ich ja nicht mehr – ja, dann hab ich Angst.

Sie haben diesen ökumenischen Gottesdienst erwähnt - welche Rolle spielt Gott für Sie, um Angst bewältigen zu können?

Aufgrund meiner Erziehung ist es mir nicht möglich, in diesen christlichen, institutionalisierten Strukturen zu glauben. In meinem Elternhaus war kein Gott. Ich glaube an die Liebe zwischen Menschen, auch wenn das eine unheimlich fragile Angelegenheit ist. Aber ich glaube an ihre heilende Wirkung – sie gewährleistet, dass wir leben, dass wir überleben und unsere Ideale immer wieder formulieren.

Wird die Arbeit auf der Bühne durch das Ansammeln von Routinen im Laufe der Jahre leichter?

Ich empfand es auf der Bühne nie als leicht. Diesen tiefen, existenziellen Punkt zu finden, weshalb man ausgerechnet dieses Stück jetzt auf die Bühne bringt, ist schwierig. Es wird ein Stück nach dem anderen produziert, so unendlich viel, dass man sich alles kaum noch anschauen kann. Diesen Punkt zu finden, gelingt deshalb immer seltener. Es ist ja schon in unserem täglichen Leben schwierig, eine Grundmotivation für diesen und den nächsten Tag zu finden. Uns allen geht es in Wirklichkeit so viel besser, aber wir können trotzdem nicht glücklich sein. Ob wie nun an Gott glauben oder nicht, fragen wir uns, ob wir dieses komfortable Leben überhaupt verdienen. Das ist eigentlich unfassbar undankbar.

Nun sagen Sie, wir machen alle zu viel – und dann initiieren Sie noch diesen Leseabend. Warum?

Ich habe entdeckt, dass ich am Bett meiner Kinder mit Leidenschaft vorlese. Ich habe auch entdeckt, dass sich bestimmte Stücke viel intensiver über diese kleine Inszenierung erzählen. Und ich habe eine Bühne, darauf gestalte ich einen Raum, das kostet nichts – an Geld, meine ich. Das ist auch eine theatrale Ansage, statt dieser wahnwitzigen Aufbauten, bei denen ich als Schauspielerin oft erlebt habe, dass ich sie beglaubigen muss, indem ich auf Gerüsten klettere – weil sie eben da sind.

Sie müssten nicht so fleißig sein, von Ihren Filmprojekten könnten Sie locker leben. Warum sind Sie der Bühne immer treu geblieben?

Das stimmt schon, aber Drehen quält mich, allein diese Abläufe: dieses Abholen des Fahrers, obwohl es immer ein anderer ist, aber dieser Fahrer schon allein als mythologische Gestalt (lacht). Dann gibt es diese Konversation mit allen möglichen Menschen, diese Warterei – das alles find ich wirklich anstrengend.

 

Zur Person

Harfouch wurde 1954 als Corinna Meffert in Suhl (DDR) geboren und studierte nach der Ausbildung zur Krankenpflegerin und einem begonnenen Studium zur Textilingenieurin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin. Nach der Wende wurde sie an der Berliner Volksbühne eine der wichtigsten Schauspielerinnen von Frank Castorf. Harfouch war in rund 50 TV- und Kinofilmen zu sehen, ihre Kunst wurde mit mehr als 25 Preisen ausgezeichnet.

Ihr erster Ehemann war der syrische Informatiker Nabil Harfouch. Mit ihm hat sie eine Tochter. Mit dem Musiker Stefan Maaß bekam sie einen Sohn. 1985-2007 war sie mit Schauspieler Michael Gwisdek verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die Söhne Johannes (Komponist) und Robert Gwisdek (Schauspieler). Zwischenzeitlich war Harfouch mit Produzent Bernd Eichinger liiert, heute lebt sie mit Schauspieler Wolfgang Krause Zwieback zusammen.

 

mehr aus Kultur

Meister des Stahls: Richard Serra ist tot

"One Life": Wie Nicky Winton 669 Kinder vor Hitler rettete

Wolfgang Gurlitt: Kunsthändler und Profiteur

Neues Werk von Banksy mit Plastikschutz und Absperrung versehen

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen