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"Die Jetztzeit erinnert mich an eine Slow-Motion-Version der 30er-Jahre"

Von Lukas Luger, 11. November 2017, 00:04 Uhr
"Die Jetztzeit erinnert mich an eine Slow-Motion-Version der 30er-Jahre"
Eine auf Robert Harris’ Thriller „München“ basierende TV-Serie ist in Planung. Bild: Heyne

Robert Harris widmet sich in "München" den politischen Turbulenzen des Jahres 1938.

September 1938 – in München treffen sich Hitler, der britische Premier Chamberlain, Mussolini und der französische Präsident Daladier zu einer hastig einberufenen Konferenz. Der Weltfrieden hängt am seidenen Faden, die Tschechoslowakei steht vor der Besetzung durch die Nazis. In seinem Politthriller "München" zeichnet der britische Bestsellerautor Robert Harris ("Vaterland") diese turbulenten Tage nach.

 

OÖN: Im Nachwort zu "München" schreiben Sie, dass Ihre Faszination für das Münchner Abkommen 30 Jahre zurückreicht. Woher speist sich diese?

Robert Harris: Die Idee für das Buch habe ich lange im Kopf herumgetragen. 1988 produzierte ich eine TV-Dokumentation für die BBC zum 50. Jahrestag des Münchner Abkommens. Von da an war ich fasziniert. Bereits vor meinem Debüt "Vaterland" dachte ich daran, aus diesem Stoff einen Roman zu machen. Vergangenes Jahr las ich dann Joachim Fests "Speer. Eine Biografie". Darin sagt Hitler, dass das deutsche Volk ausgerechnet von Chamberlain übers Ohr gehauen worden sei. Plötzlich war "München" wieder präsent.

Der britische Premierminister Neville Chamberlain wird von Historikern für seine Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler massiv kritisiert. Gerechtfertigterweise, oder war er der Sündenbock für all die Dinge, die in den Jahren nach 1938 passierten?

Ja, er wurde von den Rechten und den Linken zum Sündenbock gestempelt. Das ist ungerecht, ebenso wie die Charakterisierung Chamberlains als schwach und leichtgläubig. Egal, wie man zu seiner Beschwichtigungspolitik steht – er war auf jeden Fall kein Trottel.

Sondern?

Ein gewiefter, ja, bisweilen skrupelloser Politiker. Chamberlain war schlichtweg nicht bereit, für das Sudetenland einen Weltkrieg mit Hitler zu riskieren, gerade einmal 20 Jahre nachdem 250.000 Briten im großen Krieg gefallen waren. Hitler wollte den Krieg unbedingt, Chamberlain schob diesen durch das Münchner Abkommen auf. Hitler selbst meinte später, dass er durch das Wirken Chamberlains den idealen Zeitpunkt, den Krieg zu beginnen, verpasst hätte. Wir müssen die Geschichte mit Respekt behandeln und dürfen moralische Urteile über die Akteure von damals nicht leichtfertig mit dem Wissensstand von heute fällen. Nebenbei, Winston Churchill trägt an Chamberlains schlechter Reputation eine große Schuld. Er sagte: "Armer Neville, er wird von der Geschichte nicht gut behandelt werden. Ich weiß das, denn ich werde diese schreiben."

Steht er also zu Unrecht in Winston Churchills Schatten?

Nein, Churchill rettete das Land und gewann den Krieg. Chamberlain legte aber das Fundament. Nicht nur rüstete er England auf und stärkte die Royal Air Force massiv, auch opferte er gewissermaßen seine Reputation, um zu beweisen, dass Hitler nicht vertraut werden könne und seine Friedensangebote nicht ernst zu nehmen seien. Dies einte England und gab dem Land die Kraft, den Krieg bis zum Ende durchzustehen.

"München" erscheint zu einer Zeit, in der die Gesellschaften zunehmend gespaltener, rassistischer und nationalistischer werden und sich Parallelen zur Vorkriegszeit mehren. Wie schwierig war es, derart moderne Probleme in einem festgelegten historischen Rahmen zu verhandeln?

Ganz wichtig ist: Geschichte darf keinesfalls als Allegorie für aktuelle Problemstellungen missbraucht werden. Aber ein Grund, warum ich nach so vielen Jahrzehnten Beschäftigung mit dem Thema plötzlich die nötige Energie fand, diesen Roman zu schreiben, ist mit Sicherheit die neu gewonnene Dringlichkeit der angesprochenen Themen. Die Jetztzeit erinnert mich an eine Slow-Motion-Version der 30er-Jahre: ein ökonomischer Crash, weitverbreiteter Unmut über die politischen Eliten, die Krise der Demokratie. Wie meine Hauptcharaktere in "München" fühlen sich viele Menschen heute hilflos gegenüber den Kräften, die die Politik formen und beeinflussen.

Wer war der am schwierigsten zu schreibende Charakter?

Adolf Hitler. Chamberlain war relativ leicht zu schreiben, weil noch kein Romanautor sich mit ihm als literarische Figur beschäftigt hat. Das war beim "Führer" anders. Hitler in irgendeiner künstlerischen Form zu verarbeiten, ist unfassbar schwierig. Es gibt einen elfminütigen Audio-Mitschnitt eines versehentlich aufgezeichneten Gesprächs von Hitler mit dem finnischen Staatsmann Carl Gustaf Emil Mannerheim, der für mich wahnsinnig wichtig war. Das ist die einzige existierende Aufnahme, auf der Adolf Hitler mit seiner normalen, seiner privaten Stimme spricht. Das war – neben einem Besuch in seiner ehemaligen Wohnung in München – entscheidend für mich, um ein Gefühl zu bekommen, wie sich Hitler in privaten Situationen verhielt.

Robert Harris: "München" Roman, Heyne Verlag, 432 Seiten, 22,70 Euro

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