Der böse Schmäh mit grünen Slogans

Von Ludwig Heinrich   09.März 2018

Seine Dokus wie "Population Boom", "Plastic Planet" oder "Alles unter Kontrolle" sind internationale Spitzenklasse. Jetzt greift Werner Boote wieder ein brisantes Thema auf. In "The Green Lie – Die grüne Lüge" blättert Boote gemeinsam mit Expertin und Aufdeckerjournalistin Kathrin Hartmann den Riesenschmäh der Industrie mit "Greenwashing" auf.

 

OÖNachrichten: Ihr Film beginnt mit einem vergnügten Einkaufsbummel. Alles paletti?

Werner Boote: Nach den schrecklichen Erkenntnissen aus "Plastic Planet" wollten wir einmal einen Film über die "Guten" machen. Viele Erzeuger geben sich dem Anschein nach Mühe. Doch es hat sich herausgestellt: Wenn man anfängt zu graben, stößt man auf Abgründe. Was mit dem heiteren Supermarktbummel beginnt, endet mit Ernüchterung. Wie schön sind doch Begriffe wie "nachhaltig", "umweltschonend" oder "fair". Aber bei näherer Untersuchung ergeben sich ganz andere Dinge. Wenn da zum Beispiel "nachhaltig" steht, erweist sich, dass das nur einen Bestandteil betrifft. Zum Beispiel die Kakaobohne bei Schokolade. Das macht aber nur 20 bis 30 Prozent aus, alles andere ist weder nachhaltig noch fair.

Sie haben sich die Expertin und Journalistin Kathrin Hartmann als Partnerin für das Projekt ausgewählt. Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Das war bei einem "Club 2" 2011 zu meinem Film "Plastic Planet". Mir hat das, was sie damals sagte, sehr imponiert.

Der erste Abschnitt des Films führte Sie nach Indonesien. Stichwort: Palmöl. Warum?

Weil Palmöl in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten ist! Von Packerlsuppe über Konserven bis zur Kosmetik. Aber es gibt kein "nachhaltiges" Palmöl! Die Gewinnung hat eindeutig mit Neokolonialismus zu tun. Es ist das billigste Öl, ist leicht zu verarbeiten, hitzebeständig und hält länger. Es gilt als "Weichmacher" der Lebensmittelindustrie, gibt zum Beispiel den Germknödeln das Gummiartige. Was von der Industrie wohlweislich verschwiegen wird, und davon haben wir uns an Ort und Stelle überzeugt: Für das Gewinnen von Palmöl werden Regenwälder gerodet und niedergebrannt. Tiere verenden im Feuer. Landarbeiter werden ausgebeutet und Bauern unter Druck gesetzt. Auch Gewalt und Mord sind im Spiel. Was dort entsteht, sind Monokulturen – nicht nachhaltig.

In den letzten Tagen gibt es in Österreich Plakate, auf denen betont wird, dass in "Ja! Natürlich"-Produkten kein Palmöl enthalten ist. Ein Ergebnis Ihres Films?

Ja, es gab viele positive Gespräche mit der "Ja! Natürlich"-Chefin.

Sie haben auch Mexiko besucht. Aus welchem Grund?

Im April 2010 explodierte im Golf von Mexiko die von BP beauftragte Ölplattform Deepwater Horizon. Es entstand in 86 Tagen ein Ölteppich, der mehr als zwanzig Mal so groß war wie der Bodensee. Wie es zur Explosion kam? Der Vertrag lief damals aus, man kam in Stress und missachtete Sicherheitsvorkehrungen. Die Verantwortlichen nahmen damals das Angebot einer lokalen Firma, die Schäden sorgfältig zu beseitigen, nicht an. Weil es zu teuer gewesen wäre. Dann hat man sich abgeputzt und alle Kritiker zu einer "anderen" Firma geschickt. Was sie nicht sagten, war, dass das ein eigenes Subunternehmen war. Diese Firma machte es billig, indem sie das Öl mittels Chemikalien auf den Meeresboden sinken ließ. Durch die verwendete Chemie sind die Brocken, die heute noch an die Oberfläche kommen, hochgiftig. Und unten kriegen die Shrimps am Boden das Zeug in ihre Kiemen. Guten Appetit! Was ich in Mexiko gesehen habe, hat mich so zornig gemacht: Ich tanke nie mehr BP!

Was kann man als Einzelner gegen all diese Missstände machen?

Kathrin Hartmann sagt, das kann man sich mit den Konzernen nicht erschmusen, das muss man sich erkämpfen. Ich sage: Wir werden von Informationen erschlagen. Gütesiegel erweisen sich als Schwindel. Doch je problematischer ein Produkt ist, umso mehr "Greenwashing" braucht es. Die große Chuzpe ist: Die Unternehmen verkaufen sich als Weltretter. Die Verantwortung für Nachhaltigkeit wird auf den Konsumenten übertragen. Und die Regierungen schauen zu. Konsum hält über alles schöne Zuckerwatte. Unser derzeitiges System sorgt dafür, dass die Konzerne immer mächtiger werden. Aber diese Macht muss ein Ende nehmen.

Trailer: 

Kritik zu "The Green Lie"

"Mir wird gesagt, dass ich die Welt retten kann. Alles, was ich dafür tun muss, ist, nachhaltige und faire Produkte zu kaufen. Aber das ist eine Lüge" – so der Einstieg in das neueste Filmabenteuer des Wiener Dokumentarfilmers Werner Boote. Denn wie es eben typisch seine Art ist, versucht er mit naiver Fragestellung und genauem Hinhören das jeweilige Gegenüber zu Aussagen zu verleiten, die so oft verblüffend und auch entlarvend sind.

Diesmal hat er die deutsche Autorin Kathrin Hartmann für sein Projekt gewinnen können. Die beiden ergänzen einander perfekt: Die Expertin kann mit Wissen, Fakten, Zahlen und einem ordentlichen Mundwerk aufwarten. Er ist eher der Fragende – nimmt somit gleichsam die Rolle des Zusehers ein.

Der erste Weg führt die beiden in den Supermarkt. Erschütternd, welchen Mist sie in den Regalen finden. Also noch genauer hinschauen und bewusster einkaufen? Nein, meint Hartmann, man könne die Verantwortung nicht auf uns Konsumenten abschieben. Es müsse klare rechtliche Regelungen für die Konzerne geben. Der Film zeigt in starken, oft schmerzenden Bildern, wie brutal mit Umwelt, Menschen und Tieren zwecks Profit-Maximierung umgegangen wird. Interviews mit Aktivisten, mutigen und gescheiten Leuten erläutern, wie wir angelogen werden – "The Green Lie" ist ein wichtiger Film! (Von Silvia Nagl)

Kino: "The Green Lie – Die grüne Lüge", A 2017, 100 Min. 

Bewertung: 5 von 6 Sternen