Der Regiemeister, der seine Darsteller mehr vermisste als seine neun Kinder

Von Ludwig Heinrich   13.Juli 2018

Der Schwede Ingmar Bergman (1918–2007) steht in einer Reihe mit Autorenfilmern wie Claude Chabrol oder François Truffaut. Die von ihm geschätzte Margarethe von Trotta widmete Bergman nun die Doku "Auf den Spuren von Ingmar Bergman". Start ist heute.

 

OÖNachrichten: Ihr allererster Dokumentarfilm ist mehr als nur eine Verbeugung. Es gibt auch persönliche Gründe. Sie leiten den Film an einer Küste ein.

Margarethe von Trotta: Genau an dieser Stelle saß damals Max von Sydow als Ritter in "Das siebente Siegel". Und plötzlich tauchte eine schwarze Gestalt auf. Der Tod. Dieser Bergman-Film war der Grund, warum ich Regisseurin wurde. Im Jänner 1960 ging ich nach Paris, weil ich in Deutschland am Ersticken war. Wegen der Atmosphäre in den fünfziger Jahren. Wir jungen Leute spürten, dass in der Vergangenheit Schreckliches passiert sein musste, doch das wurde nirgendwo unterrichtet.

Wie ging es weiter?

Ich fand bald Freunde, sie versicherten mir, Film sei das Medium, das alle Kunstarten ideal vereinen würde. Sie zerrten mich faktisch ins Kino. Ich sah "Das siebente Siegel", da erwachte in mir der Wunsch, so etwas auch zu können.

Im Film erfährt man von einem Gespräch, währenddessen Bergman durchgehend Ihre Hand und die Ihres damaligen Mannes hielt, Regisseur Volker Schlöndorff. Warum waren ihm körperliche Kontakte wichtig?

Mag sein, dass er von Dämonen geplagt war. Er hat Gaby Dohm bei den Dreharbeiten zum "Schlangenei" davon erzählt. Davon, dass sie ihn zu nächtlicher Stunde immer wieder heimsuchten und er oft ab 3 Uhr früh nicht mehr schlafen konnte. Man hat ihm einmal, in der Vermutung, dass er innerlich noch immer ein Kind sei, auch eine Therapie angeboten. Die hat er abgelehnt. Weil er sich als Erwachsener fühlte und fürchtete, dadurch seine Kreativität zu verlieren.

Vielleicht war seine bekannte Einsamkeit Grund für diese Dämonen. Bei seinen Darstellern fühlte er sich aber geschützt...

Letztendlich bekannte er aber, dass jedes Gefühl einer Zusammengehörigkeit Illusion sei.

Familienmensch war er keiner.

Er hat neun Kinder gehabt. Zu seinem 60. Geburtstag versammelte er sie alle um sich. Manche lernten sich da erst kennen. Dabei erklärte er, er würde seine Schauspieler vermissen. Da platzte es aus Linn, seiner Tochter mit Liv Ullmann, heraus: "Warum sagst du das nicht über deine Kinder und Enkel?" Er trocken: "Weil es nicht so ist."

Sohn Daniel Bergman sagt, dass der Vater Gefühle nicht mochte. War er wirklich so unnahbar?

Auch das kann man nicht so einfach beantworten. Rita Russek, die sich für "Aus dem Leben der Marionetten" dauernd nackt zeigen musste, hat ihn wahnsinnig gern gehabt. Sie sagte: "Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass er unnahbar war. Ich habe mir aber oft gedacht, dass er ein armes Schwein ist."

 

Trailer:

 

Hintergrund, Kritik und TV-Tipps

Ingmar Bergman, 1918 als Sohn eines Priesters in Schweden geboren, begann 1941 für das Theater zu schreiben, seine erste Produktion war der Türöffner für TV und Kino. Er entwickelte einen prägenden Stil in Form (Überblendungen, Totalen) und Inhalt (Frauen, Kinder, Tod ). 1967 verließ er Schweden aufgrund eines Steuerskandals. Zuerst ging er nach L. A., dann nach München (Residenztheater). 2007 starb der fünf Mal Verheiratete auf der Insel Fårö.

Seine Werke im TV (alle morgen):

Szenen einer Ehe: 21.15, 3sat
Wilde Erdbeeren: 21.45, tele 5
Das siebente Siegel: 20.15, tele5

Kritik und Regisseurin: Sie ist eine der versiertesten Erzählerinnen im Kino Europas. So ist klar, dass die viel prämierte Margarethe von Trotta (Foto) nicht der Versuchung erlegen ist, Ingmar Bergman zu verklären. Der Film der 66-Jährigen („Die bleierne Zeit“, „Hannah Arendt“) zitiert den Regisseur elegant, verleugnet aber nicht den analytischen Stil seiner Macherin.

Entlang Bergmans Karriere arbeitet von Trotta den Menschen hervor – zwischen Zweifel und Perfektion, Können und Ohnmacht. Ein gelungenes, lose montiertes Porträt, das etwas unfassbar bleibt. Wie Bergman selbst. (nb)

"Auf der Suche nach Ingmar Bergman":
D/F, 98 Min, OÖN Bewertung: