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"Das ist wie eine öffentliche Exekution"

Von Nora Bruckmüller, 25. April 2015, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Crossing Europe Filmfestival
Bild: www.subtext.at

Crossing-Europe-Stargast Sergei Loznitsa über die lange Haft seines Kollegen und die EU-Politik.

Jedes Jahr präsentiert ein renommierter europäischer Regisseur seine Werke beim Crossing-Europe-Filmfest in Linz. Heuer ist es der in Cannes gefeierte Sergei Loznitsa. Der frühere Wissenschafter wurde 1964 in Weißrussland geboren, ist in der Ukraine aufgewachsen und wurde in Moskau ausgebildet.

OÖNachrichten: Sie leben heute in Berlin. Wenn Sie von dort aus auf Schwierigkeiten in Ihrer Heimat blicken, was beschäftigt Sie gerade am stärksten?

Sergei Loznitsa: Von meiner Warte aus betrachtet, ist das, was passiert, nichts Neues.

Wie wird es Ihrer Erfahrung nach dann weitergehen?

Das Schicksal von Millionen Bürgern liegt in den Händen einiger weniger Entscheider – unglücklicherweise. Angesichts der Tragweite der Situation eine lächerlich kleine Gruppe. Wenn wir beispielsweise in die Ostukraine blicken, ist das ein Krieg zwischen russischen Truppen und der ukrainischen Armee. Dieser Krieg existiert – auf eine versteckte Art und Weise. Dieser Akt der Aggression kann ein paar Monate andauern. Das ist auch nichts Neues in der Geschichte Russlands, denkt man etwa an den sowjetisch-finnischen oder den polnisch-sowjetischen Krieg zurück (1920-1921 bzw. 1939-1940, Anm.)

Sie sagen, Sie empfinden die Reaktion der Europäischen Union auf die jetzige Lage in der Ukraine als "lächerlich". Warum?

Etwas sehr Wichtiges ist nach dem Zweiten Weltkrieg passiert:Es wurden internationale Abmachungen gebrochen, die die Grenzen betrafen, und ein Land hat einen großen Teil des anderen übernommen. Ich weiß nicht, wie ich das akzeptieren kann. Die Politiker waren "überrascht". Das nur zu vermelden, reicht aber nicht. Das ist keine Politik.

Wie ergeht es Regisseuren jetzt in Osteuropa?

Wir befinden uns in einer sehr, sehr gefährlichen Situation. Der ukrainische Regisseur Oleg Sentsov sitzt inzwischen seit mehr als elf Monaten in Moskau im Gefängnis (Er vertat vehement seine Position gegen die Annexion der Krim. Ihm wird offiziell die Planung von Terroranschlägen unterstellt, Anm.). Sie haben ein Kilogramm Salz und einen Liter Farbe bei ihm zu Hause gefunden … Das ist absurd, aber man kann es nicht stoppen. Das ist wie eine öffentliche Exekution. Und die betrifft nicht nur ihn, sondern das ganze Kino, jeden Bürger, der frei sprechen will, die ganze Welt.

Sie selbst haben den Dokumentarfilm "Maidan" vorgelegt. Er wurde drei Mal in Russland gezeigt. Welche Reaktionen gab es unter den Zuschauern?

Sie haben sich darüber gewundert, dass die Ukraine eine Nation ist. Das ist witzig und sehr ernst zugleich. Und sie haben festgestellt, dass so eine Bewegung in Russland nie möglich wäre.

Haben Sie Angst, als kritischer Regisseur heimzukommen?

Im vergangenen Jahr bin ich nicht nach Russland gereist. Jetzt möchte ich mir das nicht einmal vorstellen...

Sie haben angewandte Mathematik studiert und als Wissenschafter im Bereich Kybernetik gearbeitet. Warum haben Sie diese klare, rationale Welt verlassen, um sich mit Emotionen und Stimmungen im Film zu beschäftigen?

Wie Sie wissen, ist unser Gehirn in zwei Hälften unterteilt. Die linke Seite arbeitet hauptsächlich rational, die rechte eher emotional. Wir haben also beides in uns. In der technischen Schule, die ich besucht habe, war die Ausbildung  – anders als im typisch humanistischen Konzept – mehr auf die rechte Hälfte ausgelegt. Irgendwann wollte ich mehr Gegenteiliges erfahren, weil ich sehr großes Interesse an der Kunst habe, an Literatur, Philosophie. Ich habe sehr, sehr viel gelesen. Und plötzlich habe ich erkannt, dass ich voller Gedanken und Ideen bin. Es hat sich angefühlt, als würden sie alle in mir kämpfen, um einen Weg nach draußen zu finden.

Als Sprache haben Sie die Mittel des Films entdeckt. Was charakterisiert sie?

Sie ist absolut abstrakt. Und man darf nicht vergessen: Sie imitiert das tatsächliche Leben lediglich auf eine sehr präzise Art. Wenn wir Nachrichten-Sendungen, Dokumentar- oder Spielfilme sehen und meinen, darin die echte Welt zu erkennen, liegen wir falsch. Wir sehen nur eine Art ihrer Repräsentation. Deshalb funktioniert Propaganda so gut.

Wenn die Fähigkeit zur Unterscheidung fehlt …?

Ja. Propaganda verfolgt ein vorgegebenes Ziel, nicht die Realität. Das verhält sich ähnlich zum veralteten Ausbildungssystem, in dem du bloß das wiederholen solltest, was der Lehrer dir sagt und zeigt. Es ist aber wichtiger, nicht jede Antwort zu kennen, sondern die richtigen Fragen zu finden.

Film bewegt sich immer im Spannungsfeld von Amüsement und sozialer Kritik.
Wo ordnen Sie sich als Regisseur ein?

Sie wissen, was Winston Chruchill über die Demokratie gesagt hat? Er sagte sinngemäß, dass die Demokratie das schlechteste System sei, aber wir kennen kein besseres. Das kann man über jede Gesellschaft sagen. Jede Form der Gesellschaft hat bestimmte Aspekte, die sehr schwierig für seine Bürger sind. Aber wie soll man das Paradies finden? In meinen Filmen versuche ich, alle Türen für meine Zuschauer zu öffnen, ihnen alle Möglichkeiten zu zeigen, um Problemlösungen zu finden. Umsetzen muss sie aber der Zuschauer, nicht ich. Deshalb sind Zwischenwelten und Wahrscheinlichkeiten für mich so wichtig.

 

Tribute-Programm im Überblick

www.crossingeurope.at

 

 

 

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