Das Plädoyer einer zum Gehäuse degradierten Mutter

Von Helmut Atteneder   12.Februar 2016

Die Klemm lässt nicht locker. Nach dem vielbeachteten Roman "Aberland", in dem sie das triste Leben einer Mutter und ihrer Tochter bis zur Schmerzgrenze seziert, dringt sie mit "Muttergehäuse" wieder in eine Materie ein, die beim Lesen weh tut.

Der Schmerz wird nicht angenehmer, wenn man erfährt, dass Gertraud Klemm darin ihre eigene Muttergeschichte aufarbeitet. So wie die Romanprotagonistin hat die 44-jährige Wienerin zwei Kinder adoptiert. Sie weiß also, wie es ist, sich von einer Monatsblutung zur nächsten zu schleppen, zu hoffen und letztlich daran zu verzweifeln.

Sie kennt die Ratschläge von Verwandten, von Bekannten und Freunden (von denen viele genau deswegen im Laufe der Jahre der unerfüllten Hoffnungen diesen Status verloren haben), die von "Auf Urlaub fahren und entspannt vögeln!" über "Einfach locker bleiben!" bis hin zum "Stell dich nicht so an!" reichen.

Sie kennt den Amtsschimmel, der der Adoptionswilligen kraft des Gesetzes die Würde nimmt, sie zur Bittstellerin degradiert, zur Formularausfüllerin auf Punkt und Beistrich.

Und sie kennt das Gefühl der Leere, das entsteht, als endlich der lang ersehnte positive Bescheid da ist. Ein Gefühl der Degradierung, zum Muttergehäuse, weil es nicht zur richtigen Mutter gereicht hat, sondern nur zur Adoptivmutter. Verstärkt werden diese Gefühle durch die Reaktionen aus dem verstörten Umfeld: "Musste es unbedingt ein dunkelhäutiges Kind sein...?"

Ein gelungenes Stilmittel sind die eingestreuten (Alb-)Träume der verhinderten Mutter. Gut vier Jahre hat Gertraud Klemm an einem prosaischen Fragment unter dem Titel "Mutter auf Papier" geschrieben, jetzt hat sie daraus einen Roman gemacht. Einen Roman, der die Frau ganz nackt zeigt und die Kinder – um sie zu schützen – mit dem Status von Objekten ummantelt. Deshalb glaubt sie auch nicht, dass die eigenen Kinder ihr einmal den Vorwurf machen werden, sie wären für ihre Wahlmutter Problemkinder gewesen.

Gertraud Klemm hat sich mit ihrem Roman-Sachbuch-Gemisch "Muttergehäuse" (hoffentlich) von der eigenen Familiengenese freigeschrieben, bei aller Schonungslosigkeit des Inhalts aber auch ein Hoffnung gebendes Werk hinterlassen. Weil sie sich widersetzt und letztlich durchgesetzt hat. Ein Zusatzstern für den Mut, dieses Buch zu schreiben.

Roman: "Muttergehäuse" von Gertraud Klemm, 157 Seiten, Verlag Kremayr & Scheriau, 19,90 Euro.

OÖN Bewertung: