Crossing Europe: „Angestarrt, nicht angesprochen“

Drei Minuten und acht Sekunden. So lange dauert es, bis Julia Kulczycki ihre zuckenden Hände dazu gebracht hat, die Haustüre aufzusperren und ihren Rollstuhl ins Stiegenhaus zu verfrachten. Die 23-jährige Linzerin leidet unter einem Spasmus, einer Nervenschwäche, und ist eine der Hauptfiguren in Dieter Strauchs Dokumentarfilm „Leben ohne Fassade“, der heute beim „Crossing Europe“-Filmfestival Premiere feiert.

„Nicht Situationen ausweiden, sondern am Leben teilnehmen“ wollte der Filmemacher in seinem Werk. Er begleitete fünf beeinträchtigte Menschen durch ihr Leben in Linz, Grein und Schwertberg, beobachtete sie beim Meistern ihres Alltags und führte mit ihnen Gespräche über Arbeit, Beziehungen und Sexualität. Gerade Letzteres zu thematisieren, war dem 36-jährigen Filmemacher ein besonderes Anliegen. „Weil Sexualität einfach Teil des Lebens ist. Und noch nicht einmal Betreuungsinstitutionen einen Weg gefunden haben, mit diesem Thema in Bezug auf beeinträchtigte Menschen umzugehen.“

Damit der Film nicht zu einem Herzeigen, sondern zu einem Mitsehen wird, war es dem Autodidakten besonders wichtig, eine Atmosphäre des Respekts herzustellen. „Ich bin niemandem mit der Kamera ins Gesicht gefahren, wie man sagt, sondern habe stets Abstand bewahrt.“

Das tun andere auch, wie er bei den Dreharbeiten immer wieder beobachten konnte: „Beeinträchtigte Menschen werden angestarrt, aber nicht angesprochen.“ Etwas, das er mit seinem Film ändern will: „Weil wir alle von dieser Stärke, mit der diese Menschen ihr Leben meistern, lernen können – und aufhören müssen, sie an den Rand der Gesellschaft zu drängen.“

Info: heute 18.30 Uhr und Samstag, 16 Uhr, Moviemento