Buchtipp: Zwischen Bungalows und tristen Mietskasernen

Von Christian Schacherreiter   15.September 2018

Die deutsche Schriftstellerin Helene Hegemann, geboren 1992, ist hierzulande vor allem dadurch bekannt geworden, dass ihr erfolgreicher Debütroman "Axolotl Roadkill" (2010) im deutschen Feuilleton eine etwas aufgeblasene Plagiatsdiskussion ausgelöst hat.

Die Skandalisierung verdeckte eine Weile den Blick darauf, dass Hegemann ein Ausnahmetalent ist, Plagiat hin oder her. Das beweist sie wieder mit ihrem neuen Werk "Bungalow", einem Großstadt- und Adoleszenzroman. Helene Hegemann schreibt einen harten, sozialrealistischen Stil.

In "Bungalow" lässt sie die Gegensätze stadtarchitektonisch aufeinanderprallen. Triste Berliner Mietskasernen grenzen an eine kleine Bungalow-Siedlung, in der Menschen mit dem nötigen Budget schöner Wohnen praktizieren.

Charlie, die Ich-Erzählerin, ist siebzehn Jahre alt, kommt aus der Welt der Mietskasernen und hat schon eine ganze Menge Leben hinter sich. Davon erzählt sie, eloquent, tabulos, teils flapsig, teils verletzlich. Die Ehe von Charlies Eltern ist gescheitert. Ihr Vater ist meist überfordert und weicht seiner Vaterrolle so konsequent aus wie anderen Aufgaben des Alltags. Charlie wächst bei ihrer Mutter auf, einer unberechenbaren Alkoholikerin. In den schlimmsten Phasen wird sie gewalttätig, ab Monatsmitte fehlt das Geld für Lebensmittel. Charlie schämt sich für ihre Mutter und vertuscht die Probleme.

Zum Ort der Sehnsucht nach einem besseren Leben wird der Bungalow von Maria und Georg, dem Schauspielerehepaar in der so ganz anderen Nachbarschaft. Mit Stalking-Methoden, die der Jugendlichen nicht als solche bewusst sind, gelingt Charlie die Annäherung an Georg und Maria. Ihre Gefühle für das kinderlose Ehepaar sind ambivalent.

Anfangs wünscht sie sich wohl nur solche Eltern, bald stellen sich aber auch erotische Phantasien ein, und es bleibt nicht bloß bei diesen Phantasien. Rund um die Hauptpersonen gestaltet Helene Hegemann gelungene Milieuskizzen des Großstadtlebens. Da gibt es den intelligenten, aber gefährdeten Iskender, dessen Vater einen Laden betreibt, eine Mischung aus Eckkneipe und Handyladen, es gibt alte, arme, bösartige Frauen, Selbstmörder und zwölfjährige Mitschülerinnen, die sich mit Make-up zukleistern und Kleider tragen, die sie für sexy halten.

Den umgangssprachlich gefärbten Stil, in dem Hegemann ihre Protagonistin sprechen lässt, kann einem gefallen oder nicht. In sich ist er stimmig. Sprunghaftigkeit im Aufbau gehört hier zum Konzept. Dass dadurch verzichtbare Wiederholungen zustande kommen und der Plot bisweilen auseinanderfällt, nimmt die Autorin in Kauf.

Zwischen Bungalows und tristen Mietskasernen

Helene Hegemann: "Bungalow", Hanser Verlag, 280 S., 23,70 Euro

OÖN Bewertung: