Beuys rettet die Menschheit auch nicht

Von Michael Wruss   29.Juli 2013

Für die Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele war eine Uraufführung geplant. György Kurtág wurde allerdings nicht rechtzeitig fertig, so entschied sich das Team um Dirigent Ingo Metzmacher und Regisseur Alvis Hermanis, die 2012 mit Zimmermanns „Soldaten“ einen Triumph feierten, für Harrison Birtwistles Oper „Gawain“. Die 1991 uraufgeführte Oper, die einen ähnlich großen Apparat verlangt wie die „Soldaten“, wurde trotz Umarbeitungen seither kein weiteres Mal gespielt. Was nicht verwundert. Birtwistle greift einen Stoff der Artussage auf, bei dem der Glanz der Tafelrunde nur in Erinnerungen lebt, und die einst ruhmreichen Helden feige Schatten ihrer selbst sind.

Die Suche wird zur Katharsis

Am Weihnachtsabend taucht der Grüne Ritter auf. Der Tapferste soll ihm den Kopf abschlagen. Gawain ist dazu bereit. Seine Suche nach dem Grünen Ritter wird zur Katharsis, sie beschert ihm die Erkenntnis über Lüge, Egoismus und Verführbarkeit. Gawain kann sein Leben trotz der Androhung retten, ein Jahr später einen Gegenschlag befürchten zu müssen. Obwohl als Held gefeiert, will er keiner sein.

Regisseur und Bühnenbildner Alvis Hermanis setzt diese Sinnsuche nicht ins Mittelalter, sondern in die nahe Zukunft nach einer Ökokatastrophe. Ins Zeitalter eines atomaren Winters, in dem in einer ums Überleben ringenden Gesellschaft keine Helden mehr nötig sind.

Ein Endspiel, das zwar von der Idee her überzeugt, aber nicht aufgeht, weil die Handlung von Überaktion vernichtet wird. Man schaut auf die wabernden, zuckenden Horden menschlicher Restexistenzen, die wie dämonische Wesen in verfallenen Fabrikgebäuden hausen. Morgan le Fay und Lady de Hautdesert, die quasi als Erzählerinnen fungieren, sind wie ihre Stühle von Moos überzogen. Gawain ist nicht der strahlende Held, sondern eine Kopie von Joseph Beuys, die Installationen reinstalliert – etwa „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ oder „Das Rudel“, bei dem herkömmliche Schlitten aus einem alten VW-Bus quellen. Sogar die Kunst scheitert in totalitärer Umgebung.

Allerdings bringen die ständigen szenischen Aktionen und Videos etwa von Tsunamikatastrophen nichts auf den Punkt, weder Geschichte, noch Interpretation. Sie lenken nur ab – auch von der Musik, die sich im szenischen Gewühl verliert. Dazu kommt, dass Birtwistle mit dem Riesenapparat anders als Zimmermann umgeht. Es gibt subtile Passagen mit Soloinstrumenten, doch es überwiegen die dynamisch an die Grenzen gehenden Tuttistellen.

Dabei hätten Ingo Metzmacher und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien alles aufgeboten, um die Musik bestmöglich umzusetzen. Für diesen Einsatz wurden sie zu Recht mit dem meisten Applaus bedacht. Christopher Maltman war – obwohl leicht indisponiert – ein beeindruckender Gawain, der stimmlich punktete. John Tomlinson war schon bei der Uraufführung dabei und überzeugte als großartiger Grüner Ritter. Als das Geschehen kommentierende Morgan de Fay begeisterte Laura Aikin mit gewaltigem Stimmumfang. Jennifer Johnston beeindruckte als Lady de Hautdesert. Jeffrey Lloyd-Roberts (King Arthur), Gun-Brit Barkmin (Guinevevre), Brian Galliford (Narr), Andrew Watts (Bishop) sowie der wunderbar studierte Salzburger Bachchor stützten den musikalisch ansprechenden Teil.

Birtwistles Oper und die intelligente, aber szenisch kaum überzeugende Umsetzung knüpfen nicht am Erfolg der „Soldaten“ an. Vom Publikum kam dennoch freundliche Zustimmung.

Salzburger Festspiele: „Gawain“, Oper von Harrison Birtwistle, Regie: Alvis Hermanis, Ingo Metzmacher dirigiert das ORF Radio-Symphonieorchester, Salzburger Felsenreitschule, Premiere: 26. Juli.

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