Beethoven-Leidenschaft bis zum Überkochen

06.November 2017

Ambitioniert, weil der 1995 in Wien geborene Emanuel Tjeknavorian Beethovens Violinkonzert nicht bloß benutzt, um seine technische Meisterschaft zu beweisen und auf sicherem Pfade traditionell damit zu musizieren, sondern weil er dieses Werk ganz bewusst gegen den Strich bürstet und in feiner Detailarbeit dem Ursprung des Werks auf den Grund geht. Das heißt zum Beispiel, es gibt vor dem Attacca-Übergang zum Finale eine Kadenz, die von Beethoven selbst geplant war, und er nimmt sich die Freiheit heraus, für sich selbst die Kadenz im ersten Satz zu entwerfen. Eine, die das Technische in den Vordergrund rückt, interessant mit dem musikalischen Material spielt und gleichzeitig wie ein Kontrapunkt zum tempomäßig sehr lyrisch empfundenen Satz wirkt.

Unterbelichtete Schönheiten

Somit begab sich Emanuel Tjeknavorian mit dem Bruckner Orchester und dem die ungewöhnliche Interpretation bereitwillig mittragenden Markus Poschner auf eine Entdeckungsreise in ein scheinbar längst bekanntes Land und ist dabei auf revolutionäre Standpunkte, aber auch auf sonst meist unterbelichtete Schönheiten gestoßen – viel Zuspruch für ein radikal anders gesehenes Beethovenbild. Auch bei der V. Symphonie op. 67 gab es so manches zu entdecken. Einerseits jagt Poschner den ersten Satz – bis auf das dafür extrem langsam gespielte Oboensolo – ohne die geringste Temposchwankung durch und erzeugt damit einen noch intensiveren Sog. Andererseits nimmt er sich viel Zeit für die kleinen Phrasierungen.

Selbst jede noch so unbedeutende Figur erhält dynamisches Leben durch ein bewusstes Hinführen zum nächsten Taktschwerpunkt. Das war extrem im Finale zu spüren, wo Poschner keine Fortissimo-Orgie zulässt, sondern selbst bei den wiederholten Schlussakkorden dynamische Abstufungen macht und im siebtletzten Takt sogar noch einmal in ein Mezzoforte zurückfällt.

Diese dynamischen Bögen, die somit die musikalisch-thematischen unglaublich in ihrer Wirkung unterstützen, steigern den stets vorwärts drängenden Duktus und lassen so die ebenso scheinbar längst bekannte Symphonie in einer neuen Lesart erklingen. Und dennoch bleibt Poschner im klassischen Rahmen, ohne krampfhaft nach einem außermusikalischen Beweggrund, ja, einem Programm zu suchen, sondern legt vielmehr die meisterhaft filigrane Struktur offen. Beethoven im Röntgenbild und doch leidenschaftlich emotional bis zum Überkochen. (wruss)

Brucknerhaus: AK-Classics-Konzert mit dem Bruckner Orchester unter Markus Poschner, 3. November

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