Anna Karenina ist im Film gefangen

Von Nora Bruckmüller   07.Dezember 2012

Regisseur Joe Wright zelebriert in seiner Adaption von Leo Tolstois literarischem Epos „Anna Karenina“ im besten Sinne die Möglichkeiten des großen Kinos. Sein Film über Liebe und (Frauen-)Leben im Zarenreich am Ende des 19. Jahrhundert ist ein Augenschmaus.

Die visuelle Opulenz beginnt etwa bei kleinen, aufgestickten Federn aus Gold, im Gegenlicht sanft glühenden Schmucksteinen, dicken Pelzstolen, Muff aus Fell und reicht bis hin zum originell gewählten Ort des Geschehens: ein am Set nachgebautes Theater.

Mitreißendes Theater

Das Drehbuch des vielfach prämierten britischen Theaterregisseurs Tom Stoppard verleiht dem Theater aber nicht bloße Präsenz als Raum, sondern als Ereignis. Die Bühne bebt als Pferderennbahn, Moskaus Häuser sind bloß fein gezeichnetes Bühnenbild, ein mit Schnee bedeckter Zug fährt ein. All das erzeugt mitreißende Unmittelbarkeit, wie man sie sonst nur von der Bühne kennt.

Wrights „Anna Karenina“ feiert als Genre-Hybrid Gesellschaftstanz und Ballettbewegungen. Ministerielle Bürokratie wird mit Beamten persifliert, die im rhythmisierten Akkord stempeln. Die Musik ist ein Ohrenschmaus, speziell wegen zirpender, vibrierender Streicher (Musik: Dario Marianelli, Choreographie: Sidi Larbi Cherkaoui). Gute Kost für den Geist gibt es zunächst keine. Die großen Gefühle, für die Tolstoi sonst geliebt wird, wirken wie unnötiger Zuckerguss auf einer Torte.

Keira Knightley, die bereits in Wrights Historienfilmen „Abbitte“ und „Stolz und Vorurteil“ die Hauptrolle spielte, wird als Ehebrecherin Anna Karenina von der Inszenierung eingeschlossen und erinnert an eine fragile Puppe, die bloß den Mund öffnen und ihre Kulleraugen aufreißen kann. Als sie sich etwa ihren Geliebten Wronskij (Aaron Taylor-Johnson, „Savages“) herbeisehnt, erstrahlt ein Feuerwerk, stiert Knightley nach oben. Taylor-Johnson, äußerst unscheinbar, sitzt in der Kutsche, im Fenster spiegelt sich das Feuerwerk: „Ich muss zurück.“

Hier werden nicht Liebe und Moral diskutiert – das ist schwülstige Werbung für Telepathie. Die beste Leistung liefert Jude Law als gehörnter Gatte, der alle Konventionen und Gesetze der Ehe inhaliert hat und kühl nach außen stößt. Aber Knightley spielt sich immer mehr frei, illustriert facettenreich eine Frau, die zur „Nutte“ in der Gesellschaft geworden ist, weil sie ihrem Herzen folgte.

Schade, dass die Verbindungen zum historischen Zarenreich arg gekappt sind. Der Film bleibt somit fern von Tolstois Zeitgeist.

Anna Karenina: GB 2012, 130 Minuten, Regie: Joe Wright

OÖN Bewertung: