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"Im Prinzip muss man sich resozialisieren"

Von Dietmar Mascher, 17. Oktober 2017, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Mit Reinhold Mitterlehner auf dem Sternstein
Bild: VOLKER WEIHBOLD

BAD LEONFELDEN / VORDERWEISSENBACH. Wie er als ehemaliger Vizekanzler und Minister Wahlkampf, Wahl und Politik aus der Distanz sieht und wie das Leben nach der Politik aussieht, erzählt Reinhold Mitterlehner bei einer Wanderung auf den Sternstein.

Einen schönen Sommer wünschte Reinhold Mitterlehner im Mai der Republik Österreich – und trat zurück. Wie sieht der langjährige Spitzenpolitiker der ÖVP die Politik heute nach Monaten der Entwöhnung?

 

Die ÖVP hat die Wahl gewonnen. Freut Sie das?

Mitterlehner: Ja, es freut mich, wenn meine Partei, deren Werte und Inhalte ich jahrelang vertreten habe, gewinnt.

In Ihren Heimatgemeinden Ahorn und vor allem Helfenberg hat die ÖVP aber verloren. Ist das eine gewisse Genugtuung?

Es ist ein Zeichen dafür, dass ich in der Region stark verankert bin und die Menschen die Vergangenheit nicht vergessen haben. Dieses Gefühl wird mit der Entfernung zur Heimat schwächer.

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. Dieses Zitat von Hermann Hesse war Ihr Abschiedszitat im Mai. Haben Sie sich von der Politik entwöhnt?

Das Zitat aus dem Gedicht "Stufen" habe ich bewusst gewählt, weil ich mich intensiv mit dem Leben nach der Politik beschäftigt hatte. Ich war die Tagesstruktur der Politik mit vielen Terminen und zahlreichen Mitarbeitern gewöhnt. Das fällt mit einem Schlag weg. Im Prinzip muss man sich resozialisieren.

Und sind Sie resozialisiert?

Ich bin auf gutem Weg. iPhone und iPad waren da sehr hilfreich. Was mir nicht abgeht, sind Streit und Intrigen und zum Teil die Medien.

Sie sind viel gereist in diesem Sommer.

So viel wie noch nie. In Österreich, im Ausland und auch zur Bildung nach China. Es war ein schöner Sommer. Aber Radfahren und Kartenspielen sind zu wenig.

Sie stellen sich beruflich neu auf.

Ja, ich habe eine Firma gegründet. Schließlich habe ich in der Wirtschaft und international viele Kontakte, auch auf Regierungsebene. Ich arbeite als Berater, halte Vorträge, nutze, was ich gelernt habe.

Auf dem Weg zu dieser Wanderung stehen an allen Ecken Plakate für die Nationalratswahl. Schmerzt es, dass keines dabei ist, auf dem "Mitterlehner – jetzt erst recht" steht?

Ja und nein. Ich habe Politik als Beruf und mit Leidenschaft gemacht. Und wenn das plötzlich endet, geht es einem wie einem Jäger, der seiner Leidenschaft nicht mehr nachgehen kann. Aber der zum Teil untergriffige Wahlkampf war der Demokratie nicht förderlich und geht mir nicht ab.

Wer geht Ihnen mehr ab: Kern oder Kurz?

Ich habe Christian Kern schon vor seiner Zeit als Politiker gekannt, und wir hatten ein gutes Verhältnis. Das war aber auch auf Regierungsebene der Fall, unabhängig davon, dass es auf Grund der politischen Einstellung natürlich dort und da Diskrepanzen gibt. Sebastian Kurz, der einen großen Erfolg gefeiert hat, hat großes Talent bezüglich Kommunikation und Verständlichkeit beim Publikum. Jeder hat seine Vor- und Nachteile.

Der Wahlkampf war geprägt von Anpatzungen. Da fragt man sich als Staatsbürger: Meinen die das ernst oder streiten die für die Galerie?

Tatsache ist, dass es an Respekt gefehlt hat, der für ein gedeihliches Miteinander wichtig ist. In Deutschland ist der Umgang miteinander niveauvoller.

Wie kann man das verändern?

Durch Beschränkungen, aber auch Selbstdisziplin. Wobei ich zugebe, dass das leichter gesagt als getan ist. Es betrifft aber auch die Medien. Die inflationäre Zahl der Konfrontationen, wo nichts Neues mehr kommt, ist ein Problem. In Deutschland hat man das besser konzentriert.

Sie haben bei Ihrem Abschied die Medien kritisiert. War da nicht ein bisschen Wehleidigkeit dabei? Oder was machen die Medien in Österreich falsch?

Ich will den Medien nichts zuschieben. Der Boulevard schreibt einen hinauf und hinunter. Damit muss man leben. In Österreich hat man das Gefühl, dass man bei Interviews zu einem Duell antritt, bei dem der Interviewer gewinnen und nicht Informationen bekommen möchte.

Beim Boulevard stellt sich halt die Frage, ob die Politik durch Inserate nicht eine Natter an ihrer Brust genährt hat.

Man sollte nicht wehleidig sein und auch keine Dankbarkeit erwarten. Aber viel wird sich hier nicht ändern.

Warum soll sich jemand das antun, in die Politik zu gehen?

Wenn einen nicht das motiviert, dass man etwas weiterbringen will, ist man fehl am Platz. Leider geht es oft weniger um Gestaltung als um Inszenierung und um Macht.

Wie kann man sich das vorstellen, wenn man als Politiker abdankt? Kommen dann die beruflichen Angebote?

Hätte ich nicht ein bestimmtes Lebensalter, würde ich mir Sorgen machen, weil Politik eine isolierte Tätigkeit darstellt und der Versuch, sich in der Privatwirtschaft zu etablieren den Vorwurf hervorruft, dass man es sich richten will. Ich habe mir einen Coach genommen, mit dem ich Dinge bespreche, wie man mit Kränkungen umgeht und wie man das Leben positiv gestaltet.

Worauf sind Sie stolz in der Politik?

Dass es uns gelungen ist, die Krise 2009 besser aufgearbeitet zu haben als die meisten anderen Länder. Mit Sozialminister Hundstorfer ist uns beim Thema Kurzarbeit einiges gelungen, bei den Haftungen oder auch im Tourismus. Ich denke auch, dass die Verknüpfung mit der Wissenschaft besser verlief, als mir zugetraut wurde.

Was war schmerzhaft?

Die letzte Phase als Vizekanzler habe ich mir anders vorgestellt.

Sie sind leidenschaftlicher Tarockspieler. Wie viel Glück und wie viel Können braucht man dafür und in der Politik?

Nur mit Glück wird man nirgends erfolgreich sein. Wichtig ist bei beiden, dass man geordnet und strukturiert agiert. Nur mit Ansagen und Inszenierung wird es nicht gehen. Gemessen wird man letztlich an der Umsetzung. Ich habe den Eindruck, dass im vergangenen Wahlkampf Inszenierung und Marketing den Sachbereich dominierten. Beim Tarockieren muss man mitdenken und auch aus schlechten Karten etwas machen können.

Wie viel Fake News gab es über Sie?

Auch für Fake News braucht es Gerüchte. Die gab es nicht.

Sie haben wenig über Ihr Privatleben gesprochen. Über den Tod Ihrer Tochter dagegen schon.

Auch nur einmal in einem Radiointerview, weil ich die Deutungshoheit nicht den Medien überlassen wollte, die das Thema schon gekannt haben.

Hat man als Politiker Freunde?

Da und dort ja. Aber die wirkliche Unterstützung kommt von Familie und Freunden. Zu meinen engeren Freunden gehört der steirische Ex-Landesrat Gerhard Hirschmann.

Wir wandern in Ihrer Heimat. Was bedeutet der Begriff für Sie?

Heimat ist dort, wo ich mich wohlfühle. Deshalb war das Mühlviertel immer meine Basis. Es berührt mich, der Erholungswert der Landschaft hat mir stets geholfen. Und die Leute hier sind gerade und ehrlich.

 

Reinhold Mitterlehner

Der Sohn eines Gendarms wurde vor knapp 62 Jahren in Helfenberg geboren und wuchs dort bzw. in Ahorn auch auf.
Seine Berufslaufbahn begann der Jurist (Johannes Kepler Universität) bei der Wirtschaftskammer Oberösterreich unter Rudolf Trauner sen. Christoph Leitl holte ihn ins Generalsekretariat nach Wien.

Daneben machte Mitterlehner auch in der ÖVP Karriere. Zunächst als Abgeordneter, dann als Wirtschaftsminister sowie als Vizekanzler und Parteiobmann. Im Mai legte er alle Ämter zurück.

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7  Kommentare
7  Kommentare
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WernerHofer (7 Kommentare)
am 18.10.2017 16:39

"In Österreich hat man das Gefühl, dass man bei Interviews zu einem Duell antritt, bei dem der Interviewer gewinnen und nicht Informationen bekommen möchte."
Naja. Wer sachlich berechtigte, konkrete Fragen offen und transparent beantwortet, wird dieses Gefühl nicht haben. Man kann auch antworten: Das möchte ich zurzeit nicht sagen.
Gegen Unterstellungen kann man sich mit der Gegenfrage wehren, warum einem der Interviewer das unterstellt bzw. ob und wie er seine Behauptung belegen kann.
Liegt ein Missverständnis vor, klärt man's auf. Ein Duell wird's nur dann, wenn man etwas zu verbergen versucht.

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oberoesi (1.100 Kommentare)
am 17.10.2017 21:16

Schön, in diesem Interview die Integrität und Handschlagqualität eines Menschen zu spüren ... Danke.

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rentner (41 Kommentare)
am 17.10.2017 10:05

In Ihren Heimatgemeinden Ahorn und vor allem Helfenberg hat die ÖVP aber verloren. Ist das eine gewisse Genugtuung?

Es ist ein Zeichen dafür, dass ich in der Region stark verankert bin und die Menschen die Vergangenheit nicht vergessen haben. Dieses Gefühl wird mit der Entfernung zur Heimat schwächer.

Gut dass er abgedankt hat. Damit hat er der ÖVP gutes getan. Er hatte sich von seinen Freund Kern vorführen lassen! Ein stolzer "Gockel"

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deskaisersneuekleider (4.150 Kommentare)
am 17.10.2017 09:16

Mitterlehner war einer der wenigen anständigen Politiker. Schade um ihn.

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frau111 (38 Kommentare)
am 17.10.2017 07:19

Sehr geehrter Herr Mitterlehner,
Ihre Aussage mit "Inszenierung und Marketing" wird es alleine nicht gehen gefällt mir. Leider ist das aber Tagesgeschehen. Heute zählen auch in den beruflichen Ebenen Können und Sachlichkeit nicht mehr. Nur mehr Macht und Gier, sein Ego zu befriedigen. Die Tatsache, dass es kaum mehr starken Persönlichkeiten in den Führungsebenen gibt, führt dazu keinen "guten" Nachwuchs gibt, sondern nur mehr Mitläufer. Wenn wir wirtschaftlich und menschlich wieder an die Spitze kommen wollen, müssen wir in der Gesellschaft wieder beginnen, die zu fördern, die etwas bewegen wollen für den Bereich wo sie eingesetzt werden. Klar ist das nicht bequem. Doch Erfolge kommen nicht aus der Comfortzone und die Menschheit hat sich nicht mit den Mitläufern, sondern mit den Kritikern weiterentwickelt. Größe hat der, der der seine Prinzipien nicht für Macht verkauft, sondern sich selber treu bleibt.

Ihnen alles Gute

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MitDenk (29.558 Kommentare)
am 17.10.2017 07:31

Sich selbst treu bleibt. Ja!
Was soll nun Kurz weiterhin machen?
Da wüsste ich nicht, wem oder was treu bleiben?

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MitDenk (29.558 Kommentare)
am 17.10.2017 05:12

Mehrfach betont, dass Inszenierung und Macht den Sachbereich nicht überdecken dürfen.
Freundschaften über ideologische Gegensätze hinweg sind möglich, dann, wenn das Menschsein im Vordergrund steht, was uns alle verbindet und nicht Rassismus und Gier, die uns trennen.

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