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Auf zwei Schüsse folgte ein Weltkrieg

28. Juni 2015, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Das Attentat von Sarajevo
Bild: (dpa)

Das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie leitete den Ersten Weltkrieg ein. Millionen Opfer, das Ende der Donaumonarchie und ein völlig neues Europa waren die Folge.

  • Das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie leitete den Ersten Weltkrieg ein.
  • Millionen Opfer, das Ende der Donaumonarchie und ein völlig neues Europa waren die Folge.

Der Tag, der die Welt veränderte

28. Juni 1914, der Tag, der die Welt veränderte

9.00 Uhr: Das Thronfolgerpaar feiert im "Hotel Bosna" im Kurort Ilidza die Heilige Messe. Franz Ferdinand schickt ein kurzes Telegramm an seine Kinder: "Befinden von mir und Mami sehr gut. Wetter warm und schön. Wir hatten gestern großes Diner und heute Vormittag den großen Empfang in Sarajevo. Nachmittags wieder großes Diner und dann Abreise auf der Viribus Unitis. Umarme Euch innigst. Dienstag, Papi."

9.42 Uhr: Das Paar tritt die Reise in das zehn Kilometer entfernte Sarajevo mit dem Hofsonderzug an.

10.07 Uhr: Ankunft auf dem Bahnhof von Sarajevo und Besuch in der größten Kaserne der Stadt, dem "Philippovich-Lager".

 

28. Juni 1914, der Tag, der die Welt veränderte
10.07 Uhr: Ankunft auf dem Bahnhof von Sarajevo und Besuch in der größten Kaserne der Stadt, dem »Philippovich-Lager«. Bild: www.picturedesk.com

 

 

10.15 Uhr: Im Autokonvoi geht es durch das festlich geschmückte Sarajevo. Der Weg führt entlang des Flusses Miljacka zum Alten Rathaus in der Innenstadt. Sechs mit Bomben und Pistolen ausgestattete Attentäter haben sich entlang der Route postiert. An der Cumurija-Brücke passiert der Konvoi den Attentäter Muhamed Mehmedbasic, den aber eine Berührung von hinten davon abhält, die bereits gezückte Bombe zu werfen.

10.25 Uhr: Beim Gebäude der Lehrerinnenbildungsanstalt wirft der an der Flussseite des Kais postierte zweite Attentäter Nedeljko Cabrinovic seine Bombe. Der Fahrer tritt aufs Gaspedal, als er die Bombe heranfliegen sieht. Sie explodiert unter dem folgenden Fahrzeug. Mehrere Offiziere werden verletzt, am schwersten Oberst Erik Merizzi. Cabrinovic schluckt Zyanid und will in den Fluss springen, doch er landet am Ufer und wird schnell gefasst. Franz Ferdinand lässt sein Auto anhalten und erkundigt sich nach der Lage. Entgegen dem Rat des Polizeichefs und Gouverneurs entscheidet er sich zur Weiterfahrt zum Rathaus. Auf der Fahrt zum Rathaus kommt der Konvoi an den restlichen Attentätern vorbei, doch keiner von ihnen handelt. Vaso Cubrilovic schreckt zurück, als er die Herzogin im Wagen erblickt. Cvijetko Popovic verliert beim Anblick des Thronfolgers den Mut. Trifko Grabez handelt nicht, weil er so dicht von Menschen umringt ist. Der spätere Mörder Gavrilo Princip postiert sich indes an der Franz-Joseph-Straße, entlang der geplanten Rückfahrtroute, nachdem er seinen ursprünglichen Posten infolge der ersten Explosion verlassen hatte.

 

28. Juni 1914, der Tag, der die Welt veränderte
ca. 10.30 Uhr: Vor dem Rathaus wird das Thronfolgerpaar vom Bürgermeister Fehim Effendi Curcic empfangen. Bild: www.picturedesk.com

 

 

ca. 10.30 Uhr: Vor dem Rathaus wird das Thronfolgerpaar vom Bürgermeister Fehim Effendi Curcic empfangen. "Herr Bürgermeister, da kommt man nach Sarajevo, um der Stadt einen Besuch zu machen, und man schleudert Bomben. Das ist empörend!", verliert Franz Ferdinand erstmals die Beherrschung. Danach hält der Bürgermeister seine Rede. Franz Ferdinand sagt in seiner Erwiderung, er freue sich über die "jubelnden Ovationen" der Bevölkerung, "umso mehr, als ich darin auch den Ausdruck der Freude über das Misslingen des Attentates erblicke". Franz Ferdinand besteht auf einem Besuch beim verletzten Oberst im Garnisonsspital. Sophie sagt, dass sie ihn "nicht allein fahren" lasse.

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ca. 10.40 Uhr: Die Kolonne fährt Richtung Westen. Nach dem Basarviertel biegt das erste Fahrzeug nach rechts in die Franz-Joseph-Straße ein, und der Wagen mit dem Thronfolger folgt. Landeschef Potiorek ruft dem Fahrer zu: "Sie fahren ja falsch. Wir sollen über den Appelkai!". Der Motor wird ausgekuppelt, das Fahrzeug rollt langsam zurück auf die Hauptverkehrsader entlang des Flusses.

10.45 Uhr: Gavrilo Princip schießt zwei Mal aus kurzer Entfernung auf das Auto, das wegen des Umkehrmanövers zum Stillstand gekommen war. Eine Kugel durchschlägt die Autotür und trifft die Herzogin im Unterleib, die zweite den Erzherzog im Hals. Das Fahrzeug rast daraufhin am Fluss entlang zum Palast Konak. Sophies Kopf kippt zwischen die Knie ihres Mannes. Franz Ferdinand sagt mit leiser Stimme: "Sopherl, Sopherl, stirb nicht, bleibe am Leben für unsere Kinder." Er selbst sagt auf die Frage des neben ihm sitzenden Graf Harrach, ob er Schmerzen habe, mehrmals: "Es ist nichts."

 

28. Juni 1914, der Tag, der die Welt veränderte
Franz Ferdinands Uniform, mit Blut getränkt. Bild: APA

 

10.48 Uhr: Nach zwei Minuten Fahrt trifft der Wagen beim Gouverneurspalast Konak ein, wo die beiden erstversorgt werden sollen. Das Paar wird aber bereits leblos über die Stiege in den Palast getragen.

11.00 Uhr: Offizieller Todeszeitpunkt des Thronfolgerpaars. In ganz Sarajevo beginnen die Kirchenglocken zu läuten.

11.15 Uhr: Beginn der "strafgerichtlichen Untersuchung" gegen den unmittelbar nach der Tat gefassten Mörder Gavrilo Princip. Es habe ihm leidgetan, die Herzogin zu töten, gibt er zu Protokoll.

28. Juni 1914, der Tag, der die Welt veränderte
11.15 Uhr: Beginn der »strafgerichtlichen Untersuchung« gegen den unmittelbar nach der Tat gefassten Mörder Gavrilo Princip. Bild: APA

 

Wer war Gavrilo Princip

Ein Nationalist wollte seine Heimat befreien

„Zu schwach und zu klein“ – Gavrilo Princip, der Mann, der einen Weltkrieg auslöste, war untauglich

Princip wollte im Balkankrieg 1912 in die serbische Armee eintreten, doch wurde der schmächtige Jüngling abgewiesen. Er sei „zu schwach und zu klein“, befand der Offizier Voja Tankosic damals. Zwei Jahre später verschaffte er ihm und seinen Mitverschwörern die Waffen jenes Attentats, das den 19-Jährigen zum Nationalhelden machte.

Die Tragik von Princip liegt freilich darin, dass er von Anfang an nur für die Serben ein Held war. Die meisten Kroaten und Muslime sahen in ihm einen gefährlichen Terroristen und konnten mit seinem jugoslawischen Nationalismus nichts anfangen. So überrascht es nicht, dass dem von ihm „erkämpften“ Staat Jugoslawien nur ein vergleichsweise kurzes Leben beschieden war. Das auf den Trümmern der Donaumonarchie entstandene Jugoslawien flog in einer weiteren Runde von Balkankriegen in den 1990er Jahren auseinander.

Der Weg einer Radikalisierung

Princip wurde am 25. Juli 1894 im westbosnischen Obljaj in eine kinderreiche Familie geboren, wuchs aber in Sarajevo auf. Prägend für ihn war das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Landeschef Marijan Varesanin im Juni 1910. Princip pilgerte später mehrmals zum Grab des serbischen Attentäters Bogdan Zerajic, der sich nach dem missglückten Anschlag selbst erschossen hatte. Als Tribut an diesenwollte sich Princip am 28. Juni 1914 genau dort aufstellen, wo Zerajic seine Schüsse abgegeben hatte.

Gavrilo Princip
Gavrilo Princip, der Attentäter von Sarajevo. Bild: Heeresgeschichtliches Museum

Weil er im Februar 1912 an einer anti-österreichischen Demonstration teilgenommen hatte, wurde Princip aus dem Gymnasium in Sarajevo geworfen. Er ging daraufhin nach Belgrad, wo er studieren wollte. Dort fand er Anschluss an großserbische Kreise und radikalisierte sich weiter. Im Herbst 1912 brach dann der erste Balkankrieg aus, in dem Serbien gegen das Osmanische Reich kämpfte. Princip reiste nach Südserbien, um als Freiwilliger in die Armee einzutreten, wurde aber zurückgewiesen.

Nach eigenem Bekunden fasste er im April 1914 in Belgrad den Entschluss, den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand bei dessen geplantem Besuch in Bosnien zu ermorden. Zusammen mit seinen Mitverschwörern Nedeljko Cabrinovic und Trifko Grabez ging er ans Werk, wobei sie von serbischen Offizieren ausgestattet, trainiert und nach Bosnien geschleust wurden.

In Sarajevo ließ er zwei Gelegenheiten zur Tötung des Thronfolgers und seiner Gemahlin verstreichen, ehe er die dritte nutzte, als das Auto mit dem Thronfolger-Paar praktisch vor seiner Nase zum Stillstand kam. Am Vorabend des 28. Juni hatte er die beiden bei einem privaten Spaziergang durch die Stadt beschattet, am Attentatstag ließ er den zum Rathaus fahrenden Konvoi zunächst passieren – so wie vier seiner Mitverschwörer. Die Tötung des Thronfolgers begründete er im Prozess damit, dass seine Heimat„von Österreich befreit“ werden müsse.

Tod nach vier Jahren Haft

Princips Wunsch eines Märtyrertodes erfüllte sich nicht. Die aufgebrachte Menschenmenge wollte ihn nach dem Attentat lynchen, doch griffen die Sicherheitskräfte ein. Mit 25 Mitangeklagten wurde ihm von 12. bis 23. Oktober 1914 in Sarajevo der Prozess gemacht. „Ich bin jugoslawischer Nationalist mit der Vereinigung aller Jugoslawen als Ziel“, gab er damals zu Protokoll. Weil Princip nach dem damaligen Recht noch minderjährig war, wurde er nicht zum Tode verurteilt, sondern zu 20 Jahren Haft. Er starb jedoch am 28. April 1918 im k.u.k. Gefängnis Theresienstadt an Knochentuberkulose und bekam damit den Zerfall der Donaumonarchie und die Entstehung Jugoslawiens wenige Monate später nicht mit.

Zum großen Helden wurde er erst im kommunistischen Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg, da er zu dessen Ideologie besser passte. Damals wurden zahlreiche Straßen und Volksschulen nach ihm benannt, Generationen von Jugoslawen pilgerten zum Attentatsort an der Lateinerbrücke in Sarajevo.Seine Fußstapfen wurden dort in den Gehsteig gegossen. Heute steht sein Name nur noch bei den Serben hoch im Kurs. In Belgrad soll ihm zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs ein Denkmal errichtet werden, eine große Mehrheit der Serben sieht ihn als Freiheitskämpfer und Helden.

Unter den Kroaten und Muslimen, die vom österreichisch-ungarischen Okkupationsregime in Bosnien-Herzegowina gegenüber den Serben bevorzugt worden waren, ist Princip dagegen verhasst. So brannten kroatische Truppen im September 1995 sein Geburtshaus in Obljaj bis auf die Grundmauern nieder. Auch der dort aufbewahrte Attentatsplan wurde vernichtet.

 

Interview und Buchtipps

"Der Kaiser war alt, aber keineswegs senil"
Historiker Manfried Rauchensteiner Bild: APA

„Der Kaiser war alt, aber keineswegs senil“


Am 28. Juni vor 100 Jahren erschoss der serbische Nationalist Gavrilo Princip den österreich-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Gattin in Sarajevo. Warum Europa daraufhin in den Ersten Weltkrieg zog, erklärt Historiker Manfried Rauchensteiner im großen OÖNachrichten-Interview mit Lukas Luger

Mit „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ hat Manfried Rauchensteiner ein Standardwerk über den Ersten Weltkrieg verfasst. Der frühere Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums im Gespräch über Ausbruch, Verlauf und Vermächtnis der Katastrophe, die vor 100 Jahren ihren Anfang nahm.


Vor 100 Jahren, am 28. Juni 1914, wurde Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger von Österreich-Ungarn in Sarajevo ermordet. Wenige Woche später brach der Erste Weltkrieg aus. Einige Historiker argumentieren, die Schüsse seien im Grundeaber nur eine Randnotiz der Geschichte, denn der Krieg sei ohnehin fix geplant gewesen. Welche Bedeutung messen Sie dem Attentat von Sarajevo zu?

Manfried Rauchensteiner: Das Attentat löste nicht den Krieg an sich aus, das stimmt. Es war allerdings zweifellos der Auslöser für eine politische Aktion, die zunächst sehr begrenzt schien, schließlich aber im Weltkrieg mündete. Ich weiß, es gibt Historiker-Kollegen, die es nicht wert finden, in ihren Büchern Sarajevo oder den Namen des Attentäters, Gavrilo Princip, zu erwähnen. Dieser Meinung bin ich nicht.

Der Balkan war schon vor dem Jahr 1914 eine permanente Krisenregion, siehe die Balkankriege 1912 und 1913. Hätten die europäischen Großmächte, insbesondere Österreich-Ungarn, nicht gelernt haben müssen, mit dieser Situation umzugehen?

Österreich-Ungarn hätte es zweifellos in besonderer Weise notwendig gehabt, sich mit dem Balkan zu beschäftigen. Keine andere Großmacht war geografisch so nahe dran. Das Problemwar, dass sich seit 1903 das Verhältnis zu Serbien dramatisch verschlechtert hatte. In den Balkankriegen wäre die Situation beinahe schon eskaliert. Bis dahin hatte aber noch etwas funktioniert, das dann 1914 gar nicht mehr nennenswert in Erwägung gezogen wurde: die Konferenzdiplomatie. Zu Beginn des Jahrhunderts funktionierte Europa noch, 1914 nicht mehr. Die entscheidende Frage war, ob es ein lokalisierter Krieg werden würde, oder ob sich andere Mächte einschalten.

Konnte man sich denn zu diesem Zeitpunkt wirklich der Illusion hingeben, ein territorial begrenzter Vergeltungskrieg gegen Serbien sei realistisch?

Es war eine vage Hoffnung. Die hat sich schnell zerstört, weil sichder Krieg sofort ausbreitete. Was man aber nicht vergessen darf: Diese Erweiterung war eine Hoffnung Österreich-Ungarns, das bewusst die Rückendeckung Deutschlands suchte, ebenso wie die Serben die Unterstützung Russlands. In diesem Augenblick bekam diese kriegerische Auseinandersetzung eine gänzlich andere Dimension.

War dieser „Blankoscheck“ des deutschen Kaisers Wilhelm, also die Zusage der bedingungslosen Unterstützung der österreich-ungarischen Politik in der Serbienfrage, entscheidend für die Eskalation?

Das ist kontrafaktisch, aber: Hätte Deutschland signalisiert, einen Krieg der Donaumonarchie gegen Serbien keinesfalls zu unterstützen, hätte es sicher noch den Versuch gegeben, eine politische, nicht-kriegerische Lösung zu finden. Aber es war eben nicht so. Franz Joseph schrieb am 2. Juli 1914 an Wilhelm, dass er sich nur mehr eine militärische Lösung vorstellen könne – undder deutsche Kaiser stimmte ihm zu.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Kaiser Franz Joseph sei von Anfang an fest zum Krieg entschlossen gewesen. Das passt so gar nicht mit dem Bild des guten, alten, leicht senilen Mannes zusammen,der in den Krieg gedrängt wurde.

Der Kaiser war alt, aber keineswegs senil. Bei Franz Joseph spielte aber etwas mit, das an eine Frage von vorhin anschließt. Nach langen Jahren, in denen sich der Konflikt mit Serbien immer mehr zuspitzte, resignierte er irgendwann und machte früh deutlich, dass er einer militärischen Lösung zustimmt. Da dergrößte Gegner eines Kriegs mit Serbien tot war – ironischerweise ausgerechnet der erschossene Thronfolger – ist der Weg in die Katastrophe vorgezeichnet.

Zu diesem Zeitpunkt war die Integration Europas auf einem guten Wege. Nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene waren die Verstrickungen der Mächte des Kontinents vielfältig, auch in technischer, künstlerischer und sozialer Hinsicht gab es regen Austausch. Warum hielten die politischen Eliten in Europa Krieg nach wie vor für die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln?

Schwer zu sagen. Der deutsche Kaiser etwa rief sehr wohl die Wirtschaftskapitäne seines Landes zu sich und fragte, ob die Industrie einen Krieg zu führen imstande sei. In Österreich wird ein vergleichbares Gespräch nie gesucht. In der Donaumonarchie sind es die außenpolitisch Verantwortlichen, die ohne nennenswerte Konsultationen den Krieg beginnen. Diese sehen sich in ihrer Außenpolitik, die auch militärische Sanktionen inkludierte, auf traditionellen Wegen und im Einklang mit ebensolchen Werten.

Apropos Werte: Welche Rollen spielten Patriotismus, Selbstaufopferung und Heldentum am Vorabend des „Großen Kriegs“?

Ich sehe da einen Bedeutungswandel unmittelbar vor Kriegsausbruch. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum serbischen Staat steigerte sich die Euphorie und erreichte ihren Höhepunkt mit der Kriegserklärung am 28. Juli. Dieser gesteigerte Patriotismus in Österreich-Ungarn lässt sich auch in Zahlen festmachen: Nach der Mobilmachung rückten 95 bis 98 Prozent aller Reservisten ein! Nur Kranke, oder zu diesem Zeitpunkt nicht in Österreich lebende Männer sind es, die nicht sofort in die Kasernen drängen. Das ist ein erstaunliches massenpsychotisches Phänomen. Eines, das aber nicht auf Wien beschränkt ist. In Berlin, Sankt Petersburg, London oder Paris ist es ganz ähnlich.

Bereits im Herbst 1914 wurde deutlich, wie enorm verlustreich die Kämpfe für beide Seiten werden würden. Hätte man das Gemetzel nicht zu diesem Zeitpunkt stoppen können, an dem die militärischen Pläne aller Beteiligten gescheitert sind?

Das ist die große Frage. Dass die Offensivpläne gescheitert waren, war mit Händen zu greifen. Deutschland wollte Frankreich in sechs bis acht Wochen niederringen, dann alles umwerfen und Krieg gegen Russland führen, auch Österreich dachte, dass man Serbien in kurzer Zeit besiegen könne – das alles ist nicht eingetreten. Irgendjemand hätte „Halt!“ schreien müssen. Nur wer? Es gab niemanden, der nur annähernd friedenswillig gewesen wäre.

Waren es die hohen Verluste, die es den Verantwortlichen unmöglich machten, Frieden zu fordern, ohne vor ihren Völkern die hunderttausenden Toten, etwa durch Landgewinne, „rechtfertigen“ zu können?

Gründe sich zu rechtfertigen, sahen die Militärs nur wenig. Es warein Krieg, dessen Dimension alles sprengte, was bis dahin bekannt gewesen war. Diese Dimension war es, die alles so schwierig machte. Es gab keine isolierten Kriegsschauplätze, keine große Schlacht, nach der man wusste, wer gesiegt und wer verloren hat. Menschen galten nicht als Menschen, sondern als „Grundmaterial“, das ausreichend vorhanden war. Die Rüstungsindustrie war erst dabei, ihre Ausstöße zu steigern. DerKrieg schien für alle Beteiligten absolut führbar. In den Augen derAngreifer benötigte es nur größere Anstrengungen, die Verteidigenden wollten nicht aufgeben, solange der Feind auf ihrem Gebiet stand. Es war eine unendliche Kette.

Der Steuerstaat wurde im Ersten Weltkrieg zum Wohlfahrtsstaat,der die Rolle der gefallenen Väter übernehmen musste. Ist unser Sozialsystem ein Produkt des „Großen Krieges“?

Interessante Frage. Nach dem Krieg herrschte unvorstellbare Not, Witwen und Waisen konnten kaum versorgt werden. Aus diesem Grund wurde eine Reihe von Zwangsmaßnahmen gesetzt, die meisten waren aber nur Überbrückungshilfen. Sozialmaßnahmen gab es zwar bereits vor dem Krieg, aber nicht in diesem Ausmaß.

Inwieweit hat der Erste Weltkrieg den Takt des 20. Jahrhunderts vorgegeben?

Der Erste Weltkrieg hat sicherlich die Gewalt als Mittel der Politik vorgegeben. Diesem Muster ist man im Zweiten Weltkrieg treu geblieben, auch wenn nur einige Fäden von dem einen in den anderen Krieg liefen. Ich halte aber nichts von der weit verbreiteten Bezeichnung des Ersten Weltkriegs als „Urkatastrophe“. Das ist eine sehr deutsche und österreichische Sicht. Für Italien etwa oder auch das geteilte Polen war es sicherlich keine Urkatastrophe.

Warum gibt es in Österreich keinen zentralen Gedächtnisort an den Ersten Weltkrieg?

Mit dem „Heldendenkmal“ am Burgtor in Wien gäbe es einen. Gegenwärtig ist es aber in Umgestaltung. Ehrgeiz, dieses bis zum Jahrestag des Kriegsausbruchs fertigzustellen, gibt’s aber nicht wirklich. Die Situation in Österreich ist sicher eine andere als etwa in Frankreich. Auf österreichischem Gebiet gab es fast keinen Kriegsschauplatz, nur ein kleines Segment im Plöckengebiet. Das reduziert natürlich die Wahrnehmung. Dort wo das kollektive Gedächtnis allerdings ansetzen kann, sind die Kriegerdenkmäler. In Österreich werden auf Kriegerdenkmälern oft die Gefallenen des Ersten und jene des Zweiten Weltkriegs zusammen geehrt. Historisch sinnvoll ist diese Gleichsetzung natürlich nicht, aberdoch verständlich. Kriegsdenkmäler sind ihrem Zweck nach Ersatzgräber und für die Angehörigen ist es sicher nicht leicht gewesen, zwischen Gefallenen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs zu unterscheiden. Das waren einfach ihre Väter, Brüder und Söhne.

"Der Kaiser war alt, aber keineswegs senil"
Das Thronfolgerpaar wenige Augenblicke vor dem Anschlag. Bild: Archiv

Die Bücher zum Gedenkjahr

Das Jahr 2014 steht im Zeichen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Eine ganze Reihe von Publikationen setzt sich intensiv mit dem Thema „großer Krieg“ auseinander. Wir stellen die wichtigsten Bücher vor:

Manfried Rauchensteiner: „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ (Böhlau, 1222 Seiten, 45 Euro): Im Fokus der erweiterten und neu betitelten Neuauflage des Standardwerks „Der Tod des Doppeladlers“ steht die Donaumonarchie in all ihren Facetten, insbesondere das angespannte Verhältnis zu den Staaten am Balkan. Ein Wälzer von einem Buch, aber einer, den man nicht weglegen kann. Empfehlung!

Christopher Clark: „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Krieg zog“ (DVA, 896 Seiten, 41,20 Euro): Brillante Analyse der Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die die These von der Hauptschuld Deutschlands deutlich revidiert. Heftig diskutiert!

Niall Ferguson: „Der falsche Krieg: Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert“(Pantheon, 480 Seiten, 17,50 Euro): Warum der Kriegseintritt des „Empire“ 1914 der Anfang vom Ende der britischen Weltmacht war, demonstriert der Harvard-Historiker in seinem eher essayistischen als stringenten Werk. Spannend, wenn auch teils zu spekulativ in seinen Analysen.

Oliver Janz: „14 – der große Krieg“ (Campus Verlag, 415 Seiten, 25,70 Euro): Oliver Janz, Professor für neuere Geschichte an der FU Berlin, widmet sich in seinem Buch den wenig bekannten Schauplätzen des „großen Kriegs“: von Afrika über den Nahen und Mittleren Osten bis zum Pazifikraum. Fazit: spannender Erzählwinkel, etwas arg trockener Stil. Nur bedingt einsteigerfreundlich.

Herfried Münkler: „Der große Krieg. Die Welt 1914–1918“ (Rowohlt, 928 Seiten, 29,95 Euro): Sachkundig und mit Tiefgang schildert der Berliner Politikwissenschaftler den Verlauf des Ersten Weltkriegs mit besonderem Augenmerk auf den brutalen Stellungskrieg in Frankreich.

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1  Kommentar
1  Kommentar
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FreiUndTreu (245 Kommentare)
am 05.07.2014 20:32

Mit dem maschinengewehr umbringt .....

DER 1. TAG IST DER BESTE!

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