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Der grollende Tod in Galtür

Von Philipp Hirsch, 21. Februar 2015, 00:05 Uhr
ZU APA CI-TEXT Rettungsmannschaften auf der Suche nach Überlebenden der Lawinenkatastrophe GESTERN 24-02 in Galtür. APA-Photo: HBF Bild: (APA)

Im Februar 1999 erlebte Österreich einen der schneereichsten Winter. Auf dem Krippenstein türmten sich die Schneemassen fünf Meter hoch. Am 23. Februar kam es im Tiroler Galtür zu einer Katastrophe.

  • Im Februar 1999 erlebte Österreich einen der schneereichsten Winter. Auf dem Krippenstein türmten sich die Schneemassen fünf Meter hoch.
  • Am 23. Februar kam es im Tiroler Galtür zu einer Katastrophe

Tod in Galtür

Der Tod kündigte sich am 23. Februar 1999 um 16 Uhr in Galtür im Tiroler Paznauntal mit einem ohrenbetäubenden, dumpfen Grollen an. Auf 2700 Metern Seehöhe hatte sich eine gigantische Lawine gelöst. 400 Meter breit und zehn Meter hoch donnerte sie mit mehr als 70 Kilometern pro Stunde talwärts. "Niemand hat eine solche Katastrophe für möglich gehalten", sagt Bürgermeister Anton Mattle.

Die Schneemassen begruben große Teile des Wintersportorts unter sich. Ziegelhäuser wurden wie Papierschnipsel von ihnen weggefegt. Mehr als 50 Einheimische und Touristen wurden verschüttet. Nachdem der Staub sich gelegt hatte, liefen in Galtür verzweifelte Versuche an, die Verschütteten zu befreien. Schutt, Schnee und Eis waren durch die Wucht der Lawine zu einem fast undurchdringbaren Panzer zusammengedrückt worden. Mit Schaufeln und bloßen Händen gruben die Überlebenden nach ihren Angehörigen und Freunden. Etwa 20 Menschen konnten sie lebend aus der Lawine retten, weil sie ihr eigenes Leben bei der Suche riskierten. Die Galtürer und die Touristen waren in diesen ersten Stunden der Katastrophe auf sich allein gestellt. Der anhaltende Schneesturm verhinderte den Start von Bundesheer-Helikoptern.

Während am 24. Februar die Hilfe für Galtür im großen Stil anlief, kam es nur wenige Kilometer entfernt im Weiler Valzur neuerlich zu einem gewaltigen Lawinenabgang. Zehn Menschen wurden verschüttet. Ein Hubschrauberpilot des Innenministeriums wagte trotz widrigster Wetterverhältnisse den Flug nach Valzur. 150 Helfer gelangten so zur Unglücksstelle. Sie mussten ihre Suche nach Überlebenden wegen der immensen Lawinengefahr aber bereits nach wenigen Stunden wieder abbrechen.

Am dritten Tag der Katastrophe wurde das Wetter endlich besser. Bundesheerpiloten intensivierten die Versorgungsflüge. Deutsche, US-amerikanische, französische und Schweizer Hubschrauber trafen zur Unterstützung ein. Provisorisch wurde auf der gesperrten Inntalautobahn ein Landeplatz für sie angelegt, 12.000 Menschen wurden aus dem Paznauntal ausgeflogen. Die Touristen wurden in der Pontlatzkaserne in Landeck versorgt. Insgesamt hatten die beiden Lawinen in Galtür und Valzur 38 Menschen das Leben gekostet. Juristisch hatte die Katastrophe keine Folgen. Nach mehreren Anzeigen leitete die Staatsanwaltschaft Innsbruck zwar Ermittlungen ein, im Februar 2001 wurden jedoch alle Verfahren wieder eingestellt.

Schneechaos in OÖ

Auch in Oberösterreich fiel im Februar 1999 mehr Schnee als jemals zuvor. Auf dem Krippenstein wurde eine beinahe fünf Meter dicke Schneedecke gemessen. Die Straßen nach Obertraun, Hallstatt und Gosau waren tagelang nicht passierbar, weil mehrere kleine Lawinen auf die Fahrbahn niedergegangen waren. Zahlreiche Urlauber saßen fest.

 

Fabian und Hannah Jehle
Fabian und Hannah Jehle mit dem Hochzeitsfoto ihrer Eltern. Vater Werner Jehle wurde als letzter Überlebender geborgen und heiratete später seine Krankenschwester Karin. Bild: Weihbold

Galtür: 10 Jahre danach

Das neue Zeitgefühl nach der Lawine

  • Reportage: Am 21. Februar 2009, 10 Jahre nach dem Lawinenunglück, besuchten die OÖN-Redakteure Sabine Novak und Michael Vielhaber Galtür, um den Schicksalen der Hinterbliebenen nachzugehen.

Zehn Jahre nach der Katastrophe haben die Menschen in Galtür eine neue Zeitrechnung: vor oder nach der Lawine. So ordnen sie ihre Erinnerungen – an den Tod, an die Geburt ihrer Kinder, an ihre Hochzeiten. Eine Liebesgeschichte begann, als das Bergdorf unter Schnee begraben wurde.

Drei Stunden lang war der Skilehrer Werner Jehle von den Schneemassen im Ort verschüttet. Er war der Letzte, den die Suchmannschaften lebend bergen konnten. Im Krankenhaus Zams, wohin Jehle mit Beinbrüchen und Quetschungen gebracht wurde, kümmerte sich Krankenschwester Karin ganz besonders um ihn. „Auch wenn ich frei hatte, war ich immer an seinem Bett“, sagt sie den OÖN. Das war der Beginn einer Liebesgeschichte. Drei Wochen nach dem Unglück begleitete sie ihn zum ersten Mal nach Galtür. „2001 haben wir geheiratet, da war der Fabian bereits unterwegs“, sagt Karin Jehle. Vor fünf Jahren wurden Karin und Werner Jehle zum zweiten Mal Eltern. Die kleine Hannah hält den OÖN das Hochzeitsbild von Mama und Papa entgegen. In Strumpfhosen und rosa Kleidchen steht sie auf der Stiege in jenem Haus, das ihr Vater an der gleichen Stelle wieder aufgebaut hat, wo es zerstört worden war.

Auch all die anderen haben ihre Häuser wieder aufgebaut. Vor einem Haus hält ein Postauto. Mit Briefen und Prospekten in der Hand steigt Helmut Ladner aus. „Ich gebe keine Interviews“, sagt er schroff: „Ich mache da nur meine Arbeit.“ Wie vor der Lawine. Denn an diesem Tag ist für ihn eine Welt zusammengebrochen. „Seine sechsjährige Tochter Theresia starb“, sagt Bürgermeister Anton Mattle. Die kleine Theresia wurde erst am nächsten Tag in der Früh von Suchmannschaften unter den Schneemassen tot gefunden.

Tote sind nicht vergessen

Der Friedhof ist 150 Meter von diesem Ort entfernt. Schnee liegt auf den Gräbern. So hoch, dass die Namen auf den schmiedeeisernen Kreuzen kaum zu lesen sind. Aber die Toten sind nicht vergessen. „Es gibt keine Toten, es gibt nur Lebende auf unserer Erde und im Jenseits“, steht auf der Gedenktafel „Zur Erinnerung an die Lawinenopfer“. In der Kirche finden alljährlich bis zu vier Gedenkmessen statt. „Die am kommenden Montag wird trotzdem eine besondere sein – zehn Jahre danach“, sagt die Kellnerin im „Alpinarium“, dessen Rückwand ein Lawinen-Schutzwall bildet. Dieser Damm ist nahezu 400 Meter lang und zwölf Meter hoch. Im Alpinarium befindet sich ein Veranstaltungssaal und ein Dokumentationszentrum über das Unglück.

Jeden Tag sieht der Tischlermeister Siegbert Mattle aus dem Fenster seines wieder aufgebauten Hauses hinüber zum Alpinarium. Sein Blick schweift zum Grieskogel hinauf, von dem die Lawine kam. „Sie ist ein fester Bestandteil in unserem Leben. Wenn ich mich an etwas erinnern will, denke ich: War das vor oder nach der Lawine?“, sagt er.

Schneemassen waren am 23. Februar 1999 „durch die Fenster im ersten Stock meines Hauses hineingeschossen. Meine Tochter Maria, sie war damals drei, ist neben mir im Büro kopfüber im Schnee gesteckt. Ich habe sie mit den Händen ausgegraben. Sie war unverletzt. So auch mein eineinhalb Jahre alter Sohn Lukas, der auch bei mir war“, sagt Siegbert Mattle: „Meine Frau Tanja kam mir aus der Wohnung weinend entgegen. Sie konnte aus dem Wohnzimmer vor der Lawine in den Vorraum flüchten. Das Zimmer war fast bis zur Decke voll mit Schnee.“

So auch die Werkstatt im Erdgeschoß. Mattle glaubte, seine drei Mitarbeiter wären tot und weinte. Aber sie waren der Jahrhundertlawine entkommen. Weil sie an dem Nachmittag etwas getan hatten, das sie nie zuvor gemacht hatten. Sie waren während der Arbeitszeit ins Wirtshaus gegangen. Die Frage nach dem Warum ist bis heute offen: „Ich habe sie nie gestellt. Es war etwas wie Vorhersehung. Das hat so sein müssen“, sagt Mattle. In dem Moment kommt ein kleiner Bub zur Tür herein und setzt sich auf seinen Schoß: „Das ist unser Jüngster, der Simon. Er ist jetzt dreieinhalb, etwa so alt wie seine Schwester damals.“

Niemand ist weggezogen

Niemand ist aus Galtür weggezogen. „Wer bei uns Wurzeln geschlagen hat, den reißt nichts heraus“, sagt der Bürgermeister: „Die Menschen im Ort sind nach dem Unglück sehr eng zusammengerückt. Inzwischen ist alles wieder wie vor der Lawine. Wir sind wieder ein normales Dorf. Den Zusammenhalt gibt es, genauso wie den Streit.“

 

Februar 1999 - Was noch geschah

 

2. Februar: Gegen Bombenbauer Franz Fuchs beginnt am Grazer Straflandesgericht unter enormen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess.

4. Februar: Über die Angst vor drohenden Computerpannen beim Jahreswechsel berichteten die OÖN bereits Anfang des Jahres. Das US-Außenministerium warnte gar vor Flugreisen zu Silvester.

10. Februar: Im französischen Chamonix riss eine Lawine ein ganzes Feriendorf mit. 17 Häuser wurden zerstört. Zwölf Menschen – darunter vier Kinder – kommen ums Leben.

12. Februar: Im US-Senat endet das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Bill Clinton. Für einen Schuldspruch kommt keine erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande.

14. Februar: Die alpine Skiweltmeisterschaft in Vail endete für Österreich mit einem ausgezeichneten Ergebnis. Insgesamt errangen die rot-weiß-roten Rennläufer 13 Medaillen (5 Gold, 3 Silber und 5 Bronze).

17. Februar: Kurdenführer Abdullah Öcalan wird aus der griechischen Botschaft in Nairobi in die Türkei verschleppt. Weltweite Proteste durch Kurden sind die Folge. In Linz besetzen 25 Kurden die Zentrale der SPÖ.

27. Februar: Sensationeller Erfolg bei der Nordischen Ski-WM in der Ramsau. Die 4x10-km-Staffel der Herren holte Gold.

 

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