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Störung des Totengedenkens

Von Ewald Kreuzer   18.Mai 2021

Als Theologe mit jahrelanger Erfahrung als Trauerredner am Steyrer Friedhof und Begleiter von trauernden Angehörigen empfinde ich ein äußerst ungutes Gefühl, wenn Namen von verstorbenen Menschen plötzlich aus dem öffentlichen Blickfeld verschwinden, wie etwa an der Gedenkstätte der Stadtpfarrkirche Steyr durch das Foto eines küssenden Hasen. Hinter jedem einzelnen Namen steht ein persönliches Schicksal, verbunden mit viel Leid für die Familienangehörigen.

Ich stelle mir die berechtigte Empörung vor, wenn dies etwa auf dem jüdischen Friedhof stattfinden würde! Bei Gedenkfeiern wie im KZ Mauthausen werden die Namen der dort ermordeten Menschen sogar auf den Mauern eingeblendet und in ehrenvoller Weise in Erinnerung gehalten. Auch auf dem Steyrer Urnenfriedhof wurden nach dem Auffinden von Urnen aus der NS-Zeit die Namen der zugeordneten Personen in einer eigens installierten Gedenkstätte sichtbar gemacht. Ebenso erinnert eine Gedenktafel am Gebäude des BRG Steyr an die Namen ehemaliger jüdischer Schülerinnen und Schüler.

Ausgerechnet bei einer christlichen Kirche, die Vergebung, Liebe und Auferstehung verkündet, werden die Namen von im Ersten Weltkrieg ums Leben gekommenen Soldaten durch das Foto eines Hasen verhüllt (wie immer man diesen symbolhaft deuten mag). Der Steyrer Psychotherapeut Rupert Federsel schreibt in seinem 2018 erschienenen Buch "Die vergessenen Ahnen und die ahnungslosen Nachkommen" (Untertitel: Wie das Schicksal der Ahnen in uns weiterlebt …): "Nur wer in Würde, Respekt und Dankbarkeit in Erinnerung bleibt, der kann in Ruhe tot sein. Wer seinen Ahnen noch Vorwürfe macht, sie beschuldigt oder verachtet, der wird so lange selber darunter leiden, bis er zu Versöhnung und Anerkennung bereit ist. Wahre Liebe schließt alle sogenannten anderen ein und niemanden aus. Liebende verstehen das."

Die Kunstaktion an der Stadtpfarrkirche Steyr gleicht eher einer Störaktion des Totengedenkens. Sie will aufrütteln und provozieren. Der Projektverantwortliche, mein geschätzter Garstner Kollege Karl Ramsmaier, fragt, ob das sogenannte "Heldentor" in Zukunft als ein Ort des Friedens und der Menschenrechte gedacht werden könnte. Ich frage mich: Haben wir Steyrer und Steyrerinnen dies nicht schon bisher so wahrgenommen und verstanden? Mussten wir wirklich erst auf einen Hasen warten, der uns zu dieser Erkenntnis wachküsst?

Ewald Kreuzer, Theologe und Diplom-Lebensberater, Steyr

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25. April 2024