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Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer hat das beste Selfie im Land?

Von Martina Mara   05.April 2016

"Wie kann einem denn bitte so was einfallen?" fragte ich mich angesichts eines Handyfotos, das sich letzte Woche wie kein zweites im Netz verbreitete. Es stammt vom 26-jährigen Ben Innes, der sich als Gefangener an Bord einer entführten Egyptair-Maschine befand. Bat der Brite doch tatsächlich darum, ein gemeinsames Foto mit dem Geiselnehmer schießen zu können. Das Resultat – völlig absurd: Da steht Ben Innes, die Sonnenbrille lässig ins Haar gesteckt, mit einem wahnwitzigen Grinser neben dem Flugzeugentführer, dessen Bauch gut sichtbar eine Art Sprengstoffgürtel ziert. Im Hintergrund der Notausstieg. Die Geschichte nahm zum Glück ein gutes Ende. Der mutmaßliche Terrorist entpuppte sich als verwirrter Ehemann, sein Sprengstoffgürtel als Schrott und Klebeband. Und Innes, zwischenzeitlich auf Titelseiten gehievt, resümiert seine Motivation entwaffnend ehrlich. Er wollte "das beste Selfie überhaupt" aufnehmen, sagte er in einem Interview. Na dann. Mission accomplished, irgendwie.

Das Selfie – in der Regel ein Fotoporträt, das wir mithilfe von Handykamera und maximal strapazierter Armlänge von uns selbst machen – gilt mittlerweile als Charakteristikum einer ganzen Generation. Geschürzte Lippen nebst Cocktailschirmchen, busselnde Selfie-Pärchen, dazwischen Achselshirt-Häupter, wahlweise vor Gipfelkreuz oder poliertem Kraftfahrzeug. Im Mittelpunkt steht weniger die Szenerie per se als die Tatsache, dass ich! dabei! war.

Neun von zehn Teenies posten mindestens einmal wöchentlich ein Bild oder Video von sich selbst im Internet, so das Wiener Institut für Jugendkulturforschung. Je narzisstischer die Persönlichkeit, desto öfter, zeigen internationale Studien. Hauptziel davon ist zumeist die positive Selbstdarstellung, das Beachtetwerden durch möglichst viele Andere. Eigentlich kein Wunder, unsere Selfiemania. Entspricht sie doch der Logik des digitalen Medienzeitalters: Mehr Klicks, mehr Augenpaare, mehr Werbegeld. "Ökonomie der Aufmerksamkeit" nannte das der Zeitkritiker Georg Franck bereits in den 90ern.

Manchmal treibt die Jagd nach dem ruhmeswürdigsten Bild aber zu bizarre Blüten: Im Jahr 2015 kamen weltweit mehr Menschen durch Selfie-Unfälle in Zusammenhang mit Waffen, Klippen und Zügen ums Leben als durch Hai-Attacken. In den USA musste ein Nationalpark schließen, weil Besucher mit ihren Handys immer wieder in Kuscheldistanz zu Grizzly-Bären posiert hatten. Deutlich gesünder ist da eine regionale Selfie-Variante, die sich am Sonntag großer Beliebtheit erfreute: verschwitzt und erledigt, mit Banane, vor dem Zieleinlauf des 15. Linz-Marathon. Mir persönlich ringt das schon genug Respekt ab.

 

Martina Mara ist Medienpsychologin und forscht am Ars Electronica Futurelab zu Mensch-Roboter-Beziehungen.

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28. März 2024